Scheich al-Azhar,

Eminenzen, Exzellenzen,

 

„Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes heißen“ (Matthäus 5,8). Frieden schließen ist eine heilige Arbeit. Jeder Mensch, der Frieden bringt, richtigen Frieden, gerechten Frieden, dient dem Willen Gottes. Für religiöse Führungspersönlichkeiten und für Gläubige an der Basis sollte er deshalb auf unserem gemeinsamen Programm stehen und unsere oberste Priorität sein.

Daher sind wir als hier anwesende Vertreterinnen und Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen Scheich al-Azhar und dem Muslimischen Ältestenrat sehr dankbar für diese Gelegenheit, uns zu treffen und gemeinsam unsere Verpflichtung zum Einsatz für gerechten Frieden in unserer Welt zu bekräftigen.

Wir treffen uns zu einem entscheidenden Zeitpunkt für dieses Land und für diese Region sowie für viele Regionen in der Welt, wo es Zeichen von Trennung und Polarisierung unter Völkern und Nationen gibt und wo manchmal Menschen nach ihren verschiedenen Glaubensrichtungen getrennt werden. Dies passiert in vielen Teilen der Welt. Wir stellen auch fest, dass die religiöse Identität und die Beziehung zur Religion zu diesem Zweck missbraucht werden. Sie werden sogar benutzt, um im Namen von Religion Gewalt und Terror zu rechtfertigen. Dies ist nicht, was unsere Kinder brauchen, um in Frieden zusammenzuleben. Es entspricht auch nicht den Zielen und Hoffnungen unserer Jugendlichen.

Wir glauben an den einen Gott, der die eine Menschheit geschaffen hat, damit sie in ihrer Vielfalt und in ihrer Unterschiedlichkeit zusammenlebe. Wir sind hier, um unsere Gedanken und unsere Verpflichtung auszutauschen und um gemeinsam zu zeigen, was dies für uns konkret bedeutet. Gemeinsam sollten wir dazu aufrufen, zum Leben aller von Gott geschaffenen Menschen Sorge zu tragen. Wir sind dem Schöpfer gegenüber rechenschaftspflichtig, wenn wir uns als Gottes Geschöpfe begegnen.

Dies ist unsere persönliche Verantwortung, wer auch immer wir sind und welche Stellung auch immer wir inne haben. Als religiöse Führungspersonen tragen wir die besondere Verantwortung, die Heiligkeit des Lebens aller Menschen, die vom heiligen Gott geschaffen wurden, hochzuheben. Als Glaubensgemeinschaften sind wir dazu aufgerufen, dies in der Liebe zueinander auszudrücken, in Beziehungen, die von Respekt und Fürsorge für alle geprägt sind.

Wir anerkennen, dass wir alle verletzlich sind, und dass wir alle in gleicher Weise Schutz und Menschenrechte brauchen. Staatliche Behörden sind verantwortlich, dafür den Rahmen zu schaffen, damit wir alle mit gleichen Rechten behandelt werden und dieselben Pflichten haben.

Auf mehrere Arten entspricht dies dem Konzept der „Staatsbürgerschaft“. Das Prinzip der Staatsbürgerschaft ist deshalb meiner Meinung nach im Bereich der Politik eine geeignete Art, etwas auszudrücken, das auch in unserem Glauben an Gott wichtig ist. Das Prinzip der Staatsbürgerschaft gehört zur Welt der Politik und der Rechtssysteme, kann aber für die Rechte und den Schutz sorgen, die wir brauchen, wer auch immer wir sind und welcher Glaubensgemeinschaft auch immer wir angehören. Unterschiedliche Menschen sollten für ihr Leben und für das Leben ihrer Kinder und Enkelkinder die gleiche Grundlage und Sicherheit haben. Im Rahmen eines Staates und in der internationalen Staatengemeinschaft benötigen wir Grundsätze, die für Gerechtigkeit und Frieden für alle sorgen. Gegen Ungerechtigkeiten und Gewalt müssen wir allen den gleichen Schutz bieten. Unser Zusammenleben muss auf soliden und klaren Grundsätzen beruhen.

Während der letzten paar Tage haben wir in den Diskussionen mit al-Azhar festgestellt, dass genau dieses grundsätzliche Konzept der Staatsbürgerschaft auf unserem gemeinsamen Tisch liegt. Wir haben darüber diskutiert, was es für Menschen unterschiedlicher Religionen bedeutet, auf konstruktive Art und Weise als Staatsbürger des gleichen Landes zusammenzuleben. In Teilen des Nahen Ostens ist dies gegenwärtig ein sehr „lebendiges“ Thema, und ich respektiere, dass Scheich al-Azhar bestrebt ist, für dieses Anliegen die Leitung zu übernehmen. Doch ist es auch ein Thema, mit dem sich viele Länder in der sogenannten westlichen Welt immer mehr befassen müssen, insbesondere in dieser Zeit der weit verbreiteten internationalen Migration. Wie können Bürgerinnen und Bürger in allen Ländern sowohl für ihre besonderen und unterschiedlichen Beiträge, die sie durch ihre Religion oder Ethnie zum reichen Gewebe einer Nation leisten, respektiert, als auch vollkommen integriert und befähigt werden, gemeinsam mit allen als konstruktive Bürgerinnen und Bürger eines Landes zu leben? Eine solche Herausforderung kann nicht ignoriert werden.

Weiter sollten wir gemeinsam erforschen, wie Religion und die Praktiken unseres Glaubens zum gemeinsamen Leben in Frieden und Harmonie beitragen sollten. Wir sollten veranschaulichen, was es bedeutet, füreinander zu sorgen und uns gegenseitig zu schützen. Wir sollten uns gegenseitig bekräftigen, dass wir Liebe und Fürsorge brauchen, mehr noch, dass wir uns gegenseitig die gleichen Rechte verschaffen müssen, Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu sein, Nachbarn zu sein, Menschen zu sein mit abgedeckten grundlegenden Bedürfnissen nach Nahrung, Wasser, Sicherheit, Gesundheit, Bildung, Glaubensfreiheit und der Freiheit, unsere Überzeugungen untereinander auszutauschen.

Meine Freunde, ich glaube, wir haben hier in Ägypten eindrucksvolle Beispiele gesehen dafür, was dies bedeutet. Wir haben von vielen Beispielen gehört, wie Muslime Christen schützen und verteidigen, wenn diese Opfer von Gewalt werden. Wir haben gehört, dass Christen ihre Unterstützung mit armen Menschen teilen oder ungeachtet der Religion allen Menschen Bildung vermitteln.

Wir müssen herausfinden, wie die Liebe Gottes konkret in der Liebe zum Nächsten ausgedrückt werden kann. Ich fühle mich ermutigt, denn sowohl muslimische als auch christliche Führungspersonen haben bekräftigt, dass wir weiter erforschen sollten, wie wir diese Beziehung zwischen der göttlichen Liebe und unserer Liebe zum Ausdruck bringen können.

„Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht;“ (1. Joh 4,7-8). Gott ruft uns auf, diese Liebe untereinander und mit der Welt zu teilen.

Dieses Streben nach einer Verwirklichung davon, was unser Glaube an die Liebe des einen Gottes bedeutet, ist nicht eine abstrakte Frage oder ein leiser Wunsch in der harten Wirklichkeit des Lebens. Es ist vielmehr eine dringende und grundlegende Frage in einer Zeit, in der verschiedene Gruppen und Leitende die Religion als ein Mittel zur Entzweiung brauchen oder zur Polarisierung oder sogar zur Rechtfertigung von Konflikt und Krieg.

Gewalt im Namen der Religion kann nicht stattfinden, ohne die Werte der Religion zu missachten. Gewalt im Namen Gottes gegenüber denjenigen, die nach dem Bilde Gottes geschaffen wurden, ist Gewalt gegen Gott. Vom Anfang bis zum Ende sind wir gegenüber Gott rechenschaftspflichtig.

Gemeinsam mit allen, die gewillt sind, auf diesem Weg zu gehen, müssen wir einen anderen Weg einschlagen, einen Pilgerweg auf der Suche nach Gerechtigkeit und Frieden. Dies ist der einzige Weg, der uns eine hoffnungsvolle Zukunft geben kann. Dies ist der Weg des echten Dialogs.

Ich bin ebenfalls hoch erfreut darüber, dass diese Konferenz in so enger zeitlicher Nähe zu dem bilateralen Dialog stattgefunden hat, den wir als Ökonomischer Rat der Kirchen mit dem Muslimischen Ältestenrat geführt haben.  Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und darauf hinweisen, dass der ÖRK unsere sich entwickelnden Beziehungen mit dem Groß-Imam der al-Azhar-Moschee und dem Muslimischen Ältestenrat für wichtig hält. Wir freuen uns darauf, in Zukunft zusammenzuarbeiten und nach praktischen  Wegen zu suchen, für den Frieden in unserer Welt zu arbeiten.

Als Ökumenischer Rat der Kirchen, einer Gemeinschaft von 350 Kirchen mit 560 Millionen Mitgliedern, sehen wir als unsere Grundlage einen kontinuierlichen Dialog zwischen allen Beteiligten. Wir „schauen  einander in die Augen und sehen dann, was wir uns einander zu sagen haben" (der verstorbene Ökumenische Patriarch Athenagoras). Wir glauben, dass wir als eine Gemeinschaft von Kirchen dem Aufruf folgen sollten, eins zu sein, und wir glauben, dass dieser Aufruf, Einheit zu zeigen, auch die Förderung eines gerechten Friedens zwischen den Völkern, auf den Marktplätzen, in den Gemeinschaften und mit der Schöpfung  bedeutet.

Als ein Rat der Kirchen stehen wir in einer Beziehung zueinander, die von gegenseitigem Respekt bestimmt wird. Wir sind rechenschaftspflichtig für das, was uns in den Grundlagen für unseren christlichen Glauben und unser christliches Leben vereint. Es ist dies der Glaube an den einen Gott, den Schöpfer der einen Menschheit, den wir als den dreieinigen Gott -  Vater, Sohn und Heiligen Geist -  anbeten.

Dieser Aufruf, eins zu sein, ist ein Aufruf an die Gemeinschaft, sich als eine große Familie zu begreifen mit allen unseren Gaben der Vielfalt. Wir sind aufgerufen, die Gaben der anderen anzunehmen, die wir in unseren gemeinsamen Beratungen miteinander teilen können.

Es gibt Differenzen zwischen uns, einige theologischer, andere soziologischer Natur, die aber vielleicht auf unsere unterschiedlichen religiösen Traditionen zurückzuführen sind. Diese Unterschiede sind wichtig für uns und sicher auch für unsere Dialogpartner anderer Glaubensrichtungen. Wir wollen sie nicht leugnen oder vorgeben, dass sie nicht existierten. Aber sie halten uns nicht davon ab (und dürfen uns auch nicht davon abhalten), gemeinsam für den Frieden zu arbeiten.

Diesen Aufruf, eins in der Vielfalt zu sein, erleben wir auf profunde Art und Weise durch unsere Arbeit als ein Weltkirchenrat mit globaler Reichweite. Wir haben das Privileg, zu unseren Mitgliedern Kirchen in allen Teilen der Welt zählen zu dürfen, darunter natürlich auch Kirchen hier im Nahen Osten und Nordafrika.

Wir teilen die Wahrheit über die Liebe Gottes und den Willen Gottes, und wir suchen ebenso nach der Wahrheit über die Realität, in der wir innerhalb unserer unterschiedlichen Kontexte leben. Die Realität der Gnade Gottes, die wir teilen, ist durchsetzt mit der Realität der Sünde. Dies ruft uns auf,  mit der Familie der Menschen in gemeinsamer Solidarität zu leben, in Demut und sogar mit einem kritischen und selbstkritischen Blickwinkel.

Der ÖRK wurde unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges gegründet, dieser Tragödie der Menschheit, die zu einer Katastrophe für die Nationen und die Menschen wurde, von denen einige an einer Art christlicher Legitimation für ihr Schicksal leiden wie das jüdische Volk. Die Kirchen haben 1948 erkannt, dass sie ebenfalls Teil der Unterdrückung sein und ihren Beitrag zu Konflikten leisten können. Es war die Zeit der Reue und der Versöhnung.

Die gleiche selbstkritische Perspektive war in den folgenden Jahren angesichts der Kämpfe erforderlich, die nach Beendigung der Kolonialherrschaft in vielen Teilen der Welt ausbrachen. Auch hier war die Christenheit wieder in die tragische Geschichte von Kolonisierung und Sklaverei, Rassismus und Diskriminierung verstrickt.

Auch heute müssen wir wieder gegen Rassismus, Ausgrenzung von Flüchtlingen, Teilung und Trennung kämpfen - die immer noch im Namen der Religion, selbst unseres christlichen Glaubens geschehen.

Auf der anderen Seite haben wir durch Gottes Gnade erlebt, wie wir durch Dialog und gegenseitige Beratung zu Einheit und Ordnung und Reue aufgerufen wurden, um unseren weiteren Weg zu finden.

Gott hat uns zu christlicher Solidarität im Kreuz Christi aufgerufen. Heute hier in Kairo stehe ich in Demut und tief bewegt von dem Zeugnis der glaubenstreuen Christinnen und Christen, die zu unseren vier Mitgliedskirchen in diesem Land gehören. Wir ehren ihre Treue in einer Zeit, die besonders schwierig und gefährlich zu sein scheint. Mit dem Paradoxon vor Augen, das den Kern unseres christlichen Glaubens ausmacht, geben wir Zeugnis von der Tatsache, dass in ihrer offensichtlichen Verwundbarkeit eine große spirituelle Kraft liegt. In ihrem alltäglichen Leben wird das Mysterium des Kreuzes erkennbar, das für unseren Glauben von zentraler Bedeutung ist.

Wir wollen gemeinsam und mit allen Menschen und Glaubensgemeinschaften zusammenarbeiten zum Wohl unserer Welt. Die Vorstellung von der Vielfalt in der Einheit ist ebenfalls ein Geschenk, das wir in den größeren Kontext der interreligiösen Zusammenarbeit stellen wollen, in der sich Männer, Frauen und Kinder zahlreicher unterschiedlicher Religionen für den Weltfrieden und Gerechtigkeit für alle Menschen und auch für das Wohl des Planeten selbst einsetzen.

Deshalb lassen sie mich abschließend sagen:

Als religiöse Führungspersönlichkeiten, die wir heute hier für den Frieden zusammengekommen sind, haben wir die Pflicht, mit einer Stimme zu sprechen und uns besonders gegen die Hasspropaganda zu wenden, die zu Gewalt, Diskriminierung oder anderen Verletzungen der Würde führt, die allen Menschen innewohnt unabhängig von Religion, Glaube, Geschlecht, politischer Meinung oder anderen Überzeugungen, nationaler oder sozialer Herkunft oder einem anderen Status.

Wir sind und als Menschen darin einig, dass wir allen menschlichen Wesen gegenüber rechenschaftspflichtig sind und dafür sorgen müssen, dass Religionen richtig dargestellt werden und nicht - wie das zu oft geschieht - manipuliert werden. Wir sind für unsere Handlungen rechenschaftspflichtig, aber noch viel stärker in der Verantwortung, wenn wir nicht oder in unzureichender Weise und zu spät handeln. Während Staaten in erster Linie die Aufgabe haben, das individuelle und kollektive Recht aller Menschen auf ein gesegnetes Leben frei von Angst zu fördern und zu schützen, haben wir als religiöse Führungspersönlichkeiten eindeutig eine andere Verantwortung - wir müssen uns für unsere gemeinsame Menschlichkeit und die gleiche Würde eines jeden einzelnen Menschen einsetzen.  Wir sollten dies hier gemeinsam und in unseren individuellen Umfeldern des Predigens, der Lehre, der spirituellen Führung und des sozialen Engagements leisten.

Wir haben die Pflicht, im Liebe und über die Liebe zu reden und Hassreden durch heilende Barmherzigkeit und Solidarität entgegenzuwirken, die sowohl die Herzen als auch die Gesellschaften heilen. Wir als religiöse Führungspersönlichkeiten müssen unsere jeweiligen Rollen annehmen. Als Gläubige und normale Mitglieder unserer Glaubensgemeinschaften können wir durch unsere Rede, durch die Art und Weise, wie wir unsere Kinder unterrichten und durch die Art unseres Zusammenlebens in den örtlichen Gemeinschaften etwas bewirken und zeigen, was unser Glaube als Ausdruck der Liebe Gottes bedeutet.

Gemeinsam können wir etwas bewirken. Gemeinsam können wir Hoffnung geben. In Liebe für die eine Menschheit. Lasst uns gemeinsam handeln.

Pastor Dr. Olav Fykse Tveit

Generalsekretär

Ökumenischer Rat der Kirchen