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Predigt

Deutscher Evangelischer Kirchentag – Donnerstag, 4. Juni 2015

Text: Markus 4,26-29

Thema: Der Boden und unser Glaube

Pastor Dr. Olav Fykse Tveit, Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen

 

Diese wunderbaren Texte über die Kraft des Lebens handeln eigentlich von der Erde und vom Boden. Es gibt viele schöne Texte und Bilder über die Natur, auch in der Bibel. Einige davon bewahren wir sorgfältig in Büchern und Alben auf, andere in unseren guten Erinnerungen.

„Schau dir diesen Boden an!“ Ein Bauer aus Brasilien wollte mir zwei unterschiedliche Böden auf seinem Gut zeigen. Zuerst zeigte er mir den Boden, auf dem er Tabak pflanzen musste, um ein Einkommen zu erzielen – aus der Tabakindustrie. In dieser Erde gab es nichts Lebendiges. Der Grund seien die Pestizide, die nötig seien, um das Wachstum der Tabakblätter zu optimieren, erklärte er mir. Aber dann: „Schau dir diese Würmer an!“ Sein Gesicht strahlte. Er ließ mich Tomaten kosten, die auf einem anderen Feld wuchsen. Ohne Chemikalien, sagte er. Da dieser Boden seit fünf Jahren nicht mehr für Tabakpflanzen genutzt wurde, hatte er neues Leben gefunden; er war voller Würmer und Insekten. Die Tomaten waren übrigens gut, sehr gut.

Was immer wir auch über den Boden sagen, wir sagen auch etwas über uns selber und darüber, in welcher Beziehung wir zur Erde stehen – und zueinander. Das Bild des Bodens sagt sogar etwas über das Königreich Gottes aus, sagte Jesus. Ich muss zugeben, dass diese Texte mich sogar dazu brachten, über die Bedeutung meines eigenen Namens nachzudenken. Ich werde später darauf zurückkommen.

Es gibt da etwas, das von alleine passiert. Von selbst, automatae. Das ist der Leitgedanke des Evangeliums, das uns vorgelesen wurde. Ganz von selbst bringt die Erde den Halm, die Ähre und den vollen Weizen hervor. Wir können dabei zusehen, am Tag oder in der Nacht, es geschieht von alleine.

In meiner Kultur gibt es ein Sprichwort, nach dem nichts von selbst passiere, abgesehen von Verderben, von der Macht der Zerstörung und von Zerfall.

Beide Aussagen sind richtig. Schöpfung geschieht überall und jeden Tag – von alleine bringt die Erde Leben, Pflanzen und Frucht hervor. Das gehört zu den Grundlagen der Güte der Schöpfung. Das kommt gleich nach der Teilung von Wasser und Land in der ersten Schöpfungsgeschichte. „Und Gott sah, dass es gut war.“ (Gen 1,12)

Doch wissen wir auch, dass alles Leben endlich ist. Zerfall, Zerstörung und Tod; sie geschehen überall und jeden Tag – von selber.

Beide Kreisläufe gehören zu dem, was wir als Natur bezeichnen. Beides sind Wirklichkeiten, die wir auf verschiedene Art und Weise erleben. Wir erleben das Wunder einer Geburt oder das Wunder des Frühlings; wir erleben die Realität des Todes und die Herbst- und Winterzeit.

Dieses Jahr habe ich beides erlebt: den Tod meines Vaters und die Geburt meiner Enkeltochter. Auch wir als Menschen sind ein Teil dieses Kreislaufs der Natur. Es gibt Voraussetzungen, die für uns gegeben sind. Wir sind darauf angewiesen, was andere Elemente der Natur liefern: Nahrung, saubere Luft, Licht, Wasser sowie Material für Obdach und Heizung. Wir müssen in diesen Kreisläufen leben, sogar in Zeiten des modernen Lebens, in Zeiten der urbanisierten Kulturen und in Zeiten der technologischen Innovationen, die es uns leicht vergessen lassen, dass wir mit diesen grundlegenden Elementen der Natur verbunden sind.

Wenn wir diese Verbindungen ignorieren, hat dies Folgen. Wir können mitbestimmen, wie diese Kreisläufe uns berühren und wie sie sich auf die ganze Natur auswirken. Diese Realitäten sind eine weitere Dimension der ersten Schöpfungsgeschichte in der Bibel. Als Menschen sind wir auch etwas mehr als bloß ein Teil der Natur. Frauen und Männer sind nicht nur als Bestandteil der Naturkreisläufe geschaffen worden, sondern sie haben auch den besonderen Auftrag erhalten, sich die Erde untertan zu machen und über die Geschöpfe zu herrschen. Zu recht wurde diskutiert, ob „untertan machen“ und „herrschen“ Übersetzungen sind, die eher zur Rechtfertigung von Ausbeutung beitragen, als dass sie als Auftrag verstanden werden, Verantwortung zu übernehmen. Eine bessere Art, über diesen Auftrag zu sprechen, könnte sein, die Menschen als Priester der Schöpfung zu bezeichnen – sie tragen Sorge für das, was Gott gehört – in der Gegenwart und der Anbetung Gottes. Das ist mit weiteren Privilegien kombiniert. „Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise“ (Vers 29). Wir haben die Frucht der Erde aber nicht für uns allein erhalten. Das Privileg, von den Pflanzen Nahrung zu erhalten, ist auch allen anderen lebenden Geschöpfen gegeben (Vers 30). Die Verantwortung aber liegt bei uns, als Geschöpfe, als Frauen und Männer. All das gehört zu dem, was Gott als gut gesehen hat, sogar „sehr“ gut.

Wir Menschen befinden uns mit unseren Gaben und mit unseren Schwächen in dieser Dialektik zwischen den Kreisläufen der Schöpfung und der Zerstörung. Wir können die uns übertragene Verantwortung nicht ignorieren, sowie wir auch die Tatsache nicht ignorieren können, dass wir das Potenzial haben, den Auftrag zu erfüllen, aber auch das Potenzial, darin zu versagen. Wenn Teile der Menschheit und gewisse Kulturen darin versagt haben, diesen Auftrag angemessen zu erfüllen, fühlen wir uns zutiefst beschämt. Wir können sogar die Idee kritisieren, dass wir diesen Auftrag überhaupt erhalten haben. Das ändert aber nichts. Es gibt keine Möglichkeit, vor den Realitäten dieser Erde, die von selbst Leben hervorbringen kann, davonzulaufen. Auch können wir nicht vermeiden, gerichtet zu werden, wenn wir die Erde daran hindern, dies zum Nutzen und Segen aller Geschöpfe und aller Menschen zu tun. Sogar die Erde selber richtet uns.

Die Verantwortung, Mensch zu sein, gehört zu unserem Leben. Es ist die Verantwortung, die wir gegenüber unserem Schöpfer haben. Sie zeigt sich in unserem Umgang mit der Erde und den anderen Geschöpfen. Unsere Handlungen und die menschlichen Erfindungen in der Welt können die Macht und die Fähigkeit, Leben zu schaffen, vergrößern. Unsere Handlungen und die menschlichen Erfindungen in der Welt können aber auch die Macht der Zerstörung und des Todes und die Unfähigkeit des Weiterlebens vergrößern. Wir können den Garten des Lebens entweder pflegen oder zerstören. Durch unsere Verantwortung untereinander und für die nach uns kommenden Generationen, durch die Verantwortung für andere Geschöpfe, für Pflanzen und für die Erde selber, sind wir gegenüber Gott, unserem Schöpfer, verantwortlich. Der Gott des Lebens hat uns Leben gegeben. Wie können wir denn diejenigen sein, die anderen die Möglichkeit zu leben nehmen?

Mehr als irgendwo sonst drückt sich das Maß unserer Verantwortung gegenüber dem Gott des Lebens darin aus, wie wir diesen Auftrag in unseren Beziehungen untereinander erfüllen. Genau diese Werte von Gerechtigkeit und Frieden definieren die Grundelemente des Lebens. Sie werden auch als Teil davon angesehen, was Gott uns als Gaben gegeben hat. Psalm 85 proklamiert, dass uns der „Herr Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe“, wenn Gerechtigkeit und Frieden sich küssen (Verse 11-13). Leben hat immer mit Gerechtigkeit und Frieden zu tun. Es bedingt, dass wir ein Gleichgewicht anstreben zwischen dem, was gegeben ist und dem, was wir geben, sowie zwischen dem, was genommen wird und dem, was wir für uns selber nehmen und was wir für das weitere Leben und für andere lassen.

Ich sagte, die Texte erinnerten mich sogar an meinen eigenen Namen. Olav Tveit, mein Großvater, nachdem ich benannt wurde, kaufte in Hardanger in Norwegen ein kleines Stück eines Hügels. Niemand konnte von dem leben, was dort wuchs; es hatte nicht einmal genug, um eine Kuh zu füttern! Trotzdem kaufte er es und er begann, den Boden von Steinen und Bäumen zu säubern und Mauern zu bauen, damit man den steilen Hügel begehen konnte. Dann säte er Gras und pflanzte Apfelbäume, um eine Lebensgrundlage zu schaffen. Die Familie wuchs, acht Kinder wurden geboren und ernährt. Der Bauernhof war und ist klein. Der Name Tveit bedeutet ein Ort im Wald, der gesäubert wurde, um etwas anzupflanzen, und ein Ort zum Leben. Mein Großvater musste arbeiten, extrem hart arbeiten. In seinem Leben und seiner Arbeit musste ein Verständnis der Beziehung zwischen den Menschen und der Schöpfung sein, und ein Glauben, dass die Erde etwas wachsen lassen wird, wovon die Familie essen und leben kann. Ja, es wuchs etwas von selbst, von alleine, doch musste er sich anstrengen, und der Bewirtschaftung des Landes sein Leben und das Leben seiner Familie widmen.

Im Winter arbeitete mein Großvater jeweils als Laienprediger und unterstütze die Arbeit der ordinierten Pastoren in der Gegend. Der Wunsch zu säen und zu pflanzen hatte viele Dimensionen. Ich glaube, dass diese eng miteinander verbunden waren.

Glaube leistet immer einen Beitrag zur Arbeit, weil man etwas für das Leben seiner Mitmenschen tut. Gleichzeitig ist die Arbeit unserer Hände immer auch ein Ausdruck des Glaubens an die Kraft Gottes, Leben zu schaffen. Es ist eine heilige Verbindung; es ist ein heiliger Aufruf. Die heutigen Komplexitäten führen dazu, dass wir diese Verbindungen in viel mehr verschiedenen Dimensionen betrachten müssen. Doch die Verantwortung, in einer Art und Weise zu handeln, die den Weg zum Leben öffnet und dabei den angemessenen Nutzen der Natur schützt, ist die gleiche.

Dies ist das Mster der Geschichte der Menschen, in fast allen Kulturen. Ich spreche darüber, um zu zeigen, wie nahe ich eigentlich bin – wie nahe jeder von uns eigentlich ist – an dieser Geschichte des Bodens als Geschichte der Menschheit, als Geschichte des Glaubens an Gerechtigkeit und Frieden.

Das Evangelium, die frohe Botschaft, die uns allen mitgeteilt und verkündet werden soll, besteht darin, dass es eine Kraft des Lebens gibt, die den Kreislauf des Todes immer durchbrechen kann. Das Reich Gottes mit seinen Werten kann kommen, Gottes Wille kann geschehen, wie im Himmel so auf Erden! Die Kraft unseres Schöpfers, Leben zu schaffen, ist vor uns und nach uns, sie ist stärker als irgendeine unserer Missetaten und Sünden. Die Macht der Gnade und der Vergebung kann unsere Generation erneuern, unser Volk und unsere politischen Führungspersönlichkeiten. Sie kann uns verwandeln, damit wir die nötigen Entscheidungen sehen, die wir treffen müssen, damit Veränderungen geschehen, um den Klimawandel und die Umweltverschmutzung aufzuhalten, und um das Recht auf Nahrung für alle Menschen und das Recht auf sauberes Wasser, saubere Luft und sauberen Boden zu gewährleisten. Die Schönheit und die Kraft, die davon ausgehen, wenn Gerechtigkeit und Frieden sich küssen, kann Wirklichkeit werden. Und wir – Sie und ich – können an dieser Liebesgeschichte teilnehmen.

Amen.