Die Kirchenlehrer und Glaubenszeugen der Alten Kirche: eine gemeinsame, aber unterschiedlich rezipierte Quelle der Autorität? Einleitung und Bericht von einer Ko-Vorsitzenden

Von Dr. Susan Durber

Es ist ein wichtiges Muster christlicher Erfahrung, dass wir einander Zeugnis geben und den Zeugen und Zeuginnen zuhören. Es ist uns bekannt, dass wir selbst zu den wagemutigsten Schritten befähigt werden, wenn wir uns auf Zeugnisse tiefer Glaubenserfahrung anderer einlassen, selbst wenn es noch schwer ist, diese Erfahrungen in Worte zu kleiden, die uns bereits bekannt sind. Von den frühesten Zeugen bis zum heutigen Tag haben wir in der Kirche das Zeugnis ernst genommen. Und so komme ich als Zeugin hierher, um Zeugnis von den Erfahrungen zu geben, die ich und andere gemeinsam im Rahmen dieses Projekts gemacht haben. Es war keine rein akademische Übung – wenn es so etwas überhaupt jemals gibt -, sondern hat uns geistlich zutiefst gefordert und sich als die Art von Ökumene erwiesen, nach der sich so viele von uns sehnen. Es kann irritierend sein, wenn jemand von schönen Erlebnissen berichtet, an denen man selbst nicht teilgenommen hat (wie Urlaubsfotos oder Reiseberichte). Aber ich möchte Sie bitten, mich auf meiner Reise zu begleiten, wenn ich Ihnen jetzt von diesem Projekt und insbesondere von meiner eigenen Erfahrung als Ko-Vorsitzende berichte.

Ich sollte zunächst darauf hinweisen, dass diejenigen, die an diesem Projekt und insbesondere an der Konsultation in Cambridge teilgenommen haben, sehr unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen in unsere gemeinsame Aufgabe eingebracht haben. Einige kamen, um ihre Kenntnisse und Erfahrungen mit Autoren und Texten mit uns zu teilen, die ihnen viel bedeuten und die ihr intellektuelles und geistliches Leben und, wichtiger noch, die christliche Tradition, in der sie sich zu Hause fühlen, geprägt haben. Einige hatten sehr viel weniger theologische Sachkenntnisse und es war ihnen zunächst unangenehm, dass sie vergleichsweise wenig beisteuern konnten und geringe Erfahrung hatten. Einige kamen mit einer Reihe von Fragen, Vorbehalten und sogar Ängsten und waren sich nicht sicher, wohin eine solche Diskussion sie führen würde. Sie waren sich bewusst, dass es sehr schwierig sein könnte, die zur Diskussion stehenden Fragen ausreichend klar und integer zu formulieren oder tatsächlich Gehör zu finden. Alle, die teilgenommen haben, erwarteten aus dem einen oder anderen Grund, dass wir kein leichtes und lockeres Gespräch miteinander führen würden. Aber für viele ist dies zu einer zutiefst bedeutsamen Begegnung geworden, die uns verändert hat. Die Diskussionen erreichten oft eine Tiefe, in der christliche Gemeinschaft wahrhaft bedeutsam wird und in der ein Gefühl der Einheit zwischen uns entstand. Die Qualität des Zuhörens, der Reflexion und des gegenseitigen Respekts war beeindruckend und ich kann - zusammen mit anderen - bezeugen, dass dies eine der schönsten, ehrlichsten und hoffnungsvollsten ökumenischen Erfahrungen war, die wir jemals erlebt haben. Das soll nicht heißen, dass es nicht auch schwierige Momente oder heikle Diskussionen gegeben hätte, dass wir nicht mit ungewohnten Sichtweisen oder Redestilen zu kämpfen gehabt hätten. Ich will damit nur sagen, dass bei unserer Begegnung etwas Wichtiges geschehen ist.

Im Mittelpunkt unserer Diskussionen stand die Frage der Autorität. Unser Anliegen war nicht nur, uns gegenseitig über den Grad unseres Interesses an den Lehrern und Zeugen der Alten Kirche auszutauschen, in einen intellektuellen Meinungsaustausch über sie einzutreten oder sogar darüber zu sprechen, welche spirituelle Bedeutung sie für uns haben. Obwohl all das geschah, lautete die eigentliche Testfrage, wie wir es mit Fragen der Autorität halten. In welcher Weise sprechen die Lehrer und Zeugen der Alten Kirche mit autoritativer Stimme zu uns? Und in welchem Verhältnis steht ihre Autorität zu anderen wichtigen Formen der Autorität, auf die wir uns beziehen, wenn wir vom Evangelium zu sprechen versuchen? Wir gingen nicht einfach davon aus, dass wir bereits wüssten, was Autorität bedeutet, und wir nahmen uns Zeit für sorgfältige Diskussion und Reflexion. Wir alle hatten ein starkes Gefühl von Einheit, als wir wahre Autorität als etwas beschrieben, das in Authentizität und Integrität wurzelt und nicht auch nur ansatzweise mit purer politischer Macht zu tun hat. Wahre Autorität hat es nicht nötig, sich aufzuzwingen, sondern offenbart sich von innen. Wir brachten unsere gemeinsame Überzeugung zum Ausdruck, dass die Lehrer und Zeugen der Alten Kirche aufgrund ihrer „Frühzeitigkeit“ Autorität für uns haben; sie gehörten zu den ersten Generationen von Christen und waren unter den ersten, die sich als Gemeinde versammelten und zugleich die Schrift auslegten. Aber ihre Autorität leitet sich auch aus ihrem ganzheitlichen und heiligen Leben ab; für ihren Glauben nahmen sie oft Leid auf sich oder gingen sogar in den Tod. Obwohl wir nicht die Absicht hatten, die frühesten Lehrer und Zeugen romantisch zu verklären oder ihre kontextgebundene Lebenswirklichkeit auszublenden, wurde uns bewusst, dass sie oft in Zeiten und Kontexten Zeugnis abgelegt haben, die wir uns kaum vorstellen können, dass sie die Pastoren und praktischen Theologen ihrer Zeit waren und dass sie ihr Zeugnis oft unter Blut und Tränen wie auch in der Freude des Evangeliums abgelegt haben.

Wir haben uns auch Zeit genommen, darüber nachzudenken, was es bedeutet, von einer lebendigen Tradition zu sprechen. Viele gewannen ein ganz neues Verständnis vom dynamischen Wirken des Heiligen Geistes, der das, was einige einfach als „Vergangenheit“ ansehen, Teil eines lebendigen Prozesses werden lässt, denn Gott wirkt sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart und Zukunft, um Erfüllung und Hoffnung zu bringen. Wir erkannten, dass die Wahrheit nicht darin liegt, die Vergangenheit als für uns verloren oder irrelevant anzusehen, und auch nicht darin, Gottes lebendige Gegenwart in der heutigen Zeit zu negieren. Wir lernten, in ganz neuer Weise von Zeit und Tradition zu sprechen, bereichert durch das Evangelium, das eine Sprache der Erinnerung und Hoffnung spricht. Und wir spürten gemeinsam die lebendige Wirklichkeit der Gemeinschaft der Heiligen, in der wir in wirklicher, gelebter Einheit mit den frühesten Zeugen des Glaubens stehen, die als unser aller Vorfahren im Glauben von besonderer Bedeutung für uns sind.

Lassen Sie mich ehrlich mit Ihnen sein. Ich komme aus einem kirchlichen Erfahrungshintergrund, in dem die frühen Zeugen und Lehrer der Kirche bisher nicht oft zu einer lebendigen Kraft in meinem Glauben geworden sind. Und damit bin ich in meiner Kirche, meiner Tradition und in meinem kulturellen Kontext nicht allein. Ich lebe in einer Kirche und noch mehr in einer Kultur, die sich eher schwer damit tut, in die „Vergangenheit“ zu schauen, und für die solche Bestrebungen oft die Vermutung von Konservatismus und sogar Obskurantismus nahe legen. Die Vergangenheit wird entweder als „fremdes Land“, als ein uns völlig fremder Ort gesehen, den wir nicht besuchen müssen, oder alternativ vielleicht als Erbe ziemlich sentimentaler Art, das zu unserer Unterhaltung dient. Ich gehöre zu denen, die die Einsichten des Feminismus sehr ernst nehmen und für die eine Gruppe, die oft als „die Väter“ bezeichnet wird, sich nicht gerade als Gesprächspartner empfiehlt. Ich habe Kollegeninnen und Kollegen, Freunde und Freundinnen, die nicht einsehen, warum es wichtig oder hilfreich sein sollte, „die Väter“ zu lesen; ihr Zeugnis, meinen sie, sei bei der Zurüstung der Kirche für die Mission in der heutigen Welt überflüssig. Dann gibt es diejenigen, die den patristischen Autoren zwar nicht gleichgültig gegenüberstehen, als erstes aber deren Zeugnis oder Bedeutung für uns in Frage stellen. Einige in unseren heutigen Kirchen würden sagen, dass es „die Väter“ waren, die den Glauben unnötig kompliziert gemacht haben, die die einfache Botschaft Jesu in eine philosophische Theologie voller Auswüchse verwandelt haben. Einige sehen „die Väter“ auch als diejenigen, die, vielleicht im Gegensatz zu Jesus selbst, die Entstehung einer Kirche zu verantworten haben, in der Frauen kein oder kaum ein Mitspracherecht haben und in der die Macht mit aller Entschlossenheit den Männern gegeben wird. Sie verweisen z.B. auf Passagen in den Werken von Johannes Chrysostomos, in denen er das 1. Kapitel der Genesis in der Perspektive des 1. Korintherbriefes, Kapitel 11, auslegt und zu der Aussage gelangt, dass nur Männer nach dem Bild Gottes geschaffen seien. Sie zeichnen ein Bild von der Alten Kirche, die das ursprüngliche und radikal verwandelnde Evangelium Jesu veränderte und in der die machtvollen patriarchalischen Kräfte sich schnell neu behaupteten. Dies sind einige der Fragen, mit denen ich selbst zu der Konferenz kam, und einige der Anliegen, die mich bewegten und die ich manchmal kaum auszusprechen wagte. Und es handelt sich dabei um wirkliche und wichtige Anliegen.

Ich verließ die Konsultation dann allerdings mit der tiefen Überzeugung, dass die Lehrer und Lehrerinnen und die Zeugen und Zeuginnen der Alten Kirche unsere gemeinsamen Väter und Mütter des Glaubens sind und als solche von uns geehrt werden sollten. Ich bin noch immer davon überzeugt, dass alle Epochen in der Geschichte uns gleichermaßen fremd sind (selbst unsere eigene, wenn wir ehrlich sind) und dass mit Sicherheit keine Epoche „rein“ ist. Ich glaube nicht, dass es in der menschlichen Geschichte jemals ein goldenes Zeitalter gab oder geben wird, in dem alle aus reinen Motiven das Wort ergreifen und keine Zugeständnisse an die Wahrheit machen. Das gilt genauso für den zeitgenössischen feministischen Diskurs wie auch den frühesten Diskurs der Alten Kirche und gehört zum Menschsein. Ich habe gelernt, das Wunder anzunehmen, dass Gottes heilige Gaben durch Menschen und ihre Worte zu uns hin vermittelt werden können, bei all unserer kontexuellen Verwurzelung und Vielschichtigkeit. Es gibt einen bestimmten Raum, um alle historische Kritik und die Hermeneutik des Verdachts zu Worte kommen zu lassen, durch die wir geprägt sind, aber es gibt auch einen legitimen Raum für eine Hermeneutik des Vertrauens. Und ich habe gelernt, dass die Schätze des Heiligen Geistes wirklich, in irdischen oder sogar zerbrochenen Gefäßen, zu uns kommen können. Ich lerne dies natürlich aus der Bibel, und das gilt auch für die Lehrer und Zeugen der Alten Kirche, der etwas späteren Kirche und der Kirche, die noch kommen muss.

Ich erkannte im Verlauf unserer Konsultation, dass das Studium der Patristik in den schönen, angenehm temperierten und Kultur ausströmenden Räumen der Universität von Oxford mir eine völlig falsche Vorstellung von „den Vätern“ vermittelt hatte. Ich hatte mit vorgestellt, dass all die Autoren, die ich las, in einem Arbeitszimmer voller Bücherwände saßen, mit Blick auf einen Garten, der im warmen Sonnenlicht lag und in dem Zitronenbäume wuchsen. Tagsüber schrieben sie schöne, elegant formulierte Texte, abends, nach einem guten Essen, gekleidet in makellose Togas, genossen sie vielleicht ein Glas Wein. Ich lernte wohl auch etwas über Wüstenmönche und stellte sie mir in einsamen, ruhigen Höhlen vor, verfolgt höchstens von ihren Träumen. Ich kannte die Arbeit der Konzile, aber auch hier stellte ich mir vor, dass die Delegierten ordentlich und höflich an Tischen saßen, als ob sie an einer akademischen Konferenz teilnähmen. Natürlich hätte ich erkennen sollen, dass ich mir damit ein völlig falsches Bild von der Alten Kirche machte. Ich hatte auch etwas über Verfolgung und Leid, über Märtyrertum und Politik gelernt, aber das war in einem anderen Kurs an einem anderen Tag. Heute erkenne ich, wie wichtig es ist, diese Dinge miteinander zu verbinden. Und ich erkenne, dass ein Großteil der Schriften und des Zeugnisses der Alten Kirche so viel Autorität hat (selbst wenn sie entgegengesetzte Argumente vertreten), weil sie von Menschen stammen, die bereit waren, sich für Christus hinzugeben, bis in den Tod, und die ihre eigene spirituelle Tradition aufgaben und Christus nachfolgten, um jene andere Tradition, die ihnen wichtiger war als ihr Leben, weiterzugeben. Felicitas und Perpetua brachten in ihrem größten Leid ihren Glauben und ihre tiefe Überzeugung zum Ausdruck, dass Christus für sie genauso leiden würde, wie sie es für ihn taten. Die Zeit der Väter und der Mütter ist vielleicht genauso sehr eine Zeit des Leidens, des Kampfes und des Märtyrertums, wie es eine Zeit ist, in der die kirchliche Lehre ausgebildet wurde. Und in diesem machtvollen Zeugnis des Glaubens ist die Autorität der Vertreter und Vertreterinnen dieser Epoche zumindest teilweise begründet. Viele der frühen Zeugen rangen um den Glauben, nicht in Arbeitszimmern voller Bücherwände, sondern versteckt in Gruben und Höhlen. Und sie verkündeten ihren Glauben genauso häufig in der Arena wie auf der Kanzel. Sie waren es, die Jesus nachfolgten und den Weg des Kreuzes gingen, oft bis in den Tod. Viele von ihnen rangen neu um die Erkenntnis, was es bedeutet, vor Gott Mensch zu sein, zu leben und sogar zu sterben. Um dieses neuen und lebenspendenden Glaubens willen waren sie oft der Lächerlichkeit preisgegeben, waren mit Konflikten und Tod konfrontiert.

Ich möchte Ihnen jetzt einige sehr persönliche Worte als Ko-Vorsitzende sagen. Die Mitarbeit an diesem Projekt hat mich in einen größeren Raum geführt, einen Raum, den ich vielleicht Angst hatte zu bewohnen, aber in dem ich eine große Familie gefunden habe, der wir alle angehören und die ich über alles liebe. Wenn ich mich jetzt mit den Lehrern und Zeugen der Alten Kirche, mit unseren gemeinsamen Vätern und Müttern des Glaubens, und mit Fragen zur Autorität ihrer Schriften und Lehren für den Glauben heute beschäftige, dann spüre ich, dass ich eben diese Tradition zutiefst liebe, mit der ich mich aber auch weiterhin intensiv auseinandersetzen muss, um die ich ringen muss. Hier geht es genauso sehr um Liebe und Gemeinschaft wie um die Wahrheit. Mein Glaube wird durch ihren Glauben auf die Probe gestellt und gleichzeitig bereichert. Ich kann ohne sie nicht ich selbst sein und ich will den Raum, den sie bewohnen, nicht verlassen, obwohl ich es mir dort nicht notwendigerweise bequem machen kann. Die Fragen, mit denen ich gekommen bin, und die kritischen Perspektiven, die mich begleitet und verfolgt haben, wurden durch diese positive Erfahrung nicht beiseite gewischt, aber sie erhielten einen neuen Kontext und neue Partner und werden jetzt mit ihnen neu untersucht.

Der nächste Schritt in diesem Projekt „Tradition und Traditionen“ wird so aussehen, dass wir uns gegenseitig einladen, uns in unseren jeweiligen Lebens- und Glaubensräumen zu besuchen und zuzuhören, wenn wir gemeinsam Quellen der Autorität in der christlichen Geschichte und Familie untersuchen, die von anderer Seite her kommen könnten als den frühen Lehrern und Zeugen. Wir planen eine zweite Konsultation zu dieser Thematik. Ich freue mich auf unsere gemeinsame Reise, die eine Forschungs- und Entdeckungsreise sein wird. Wir schlagen in dem Bericht gezielte Wege vor, wie die Wiederentdeckung und die neue Auseinandersetzung mit den Lehrern und Zeugen der Alten Kirche einen wertvollen und kostbaren Beitrag zu unseren ökumenischen Gesprächen und Begegnungen leisten kann. Und wir beten, dass die Christen sich gemeinsam auf die Reise machen, hin zu dem Erbe, das Gott uns schenkt, und das in der Kraft des Heiligen Geistes eine lebendige Tradition ist.