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1. Zwei Angriffe vor kurzem auf Christen in ihren Gotteshäusern im Nahen Osten haben unter Kirchen allerorts Furcht und Sorge ausgelöst. Kurz nach dem brutalen Angriff auf Christen während des Gebets in Kirchen in Bagdad, Irak, im Oktober 2010 traf die Nachricht ein, dass Christen während des Gebets am Neujahrsabend im Dezember 2010 in Alexandria, Ägypten, Opfer eines gleichermaβen verwerflichen und grausamen Angriffs wurden. Diese beiden Ereignisse hatten einen riesigen öffentlichen Aufschrei zur Folge.

2. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), zu dessen Gemeinschaft eine beträchtliche Anzahl Kirchen im Nahen Osten gehören, von denen mehrere Gründungsmitglieder des ÖRK sind, ist zutiefst besorgt über die Art und die Folgen dieser Angriffe. Ebenso besorgniserregend ist, dass diese Ereignisse von einigen politischen Parteien in verschiedenen Ländern sowie von einigen religiösen Gruppen dazu benutzt werden, islamfeindliche Tendenzen und ein negatives Image des Islam anzuheizen.

3. Die Situation könnte leicht schädliche Ausmaβe annehmen, wenn die oben genannten Tendenzen im Namen der Absicherung ihrer Zukunft und der Erhaltung ihrer Sicherheit weiter fortschreiten. Der Ansatz des ÖRK im Blick auf die Präsenz und das Zeugnis der Christen im Nahen Osten ist ein völlig anderer. Statt zuzulassen, dass die Situation zu einem Konflikt und zum Antagonismus gegenüber anderen Bürgern in verschiedenen Ländern ausartet, geht es vielmehr darum, Mittel und Wege zu finden, um einen echten christlichen Geist der Solidarität hervorzubringen.    

4. Der ÖRK ist bestrebt, ein positives Engagement der Kirchen am Leben der Nationen, denen sie angehören, zu stärken. Die fortdauernde Präsenz und aktive Teilnahme der Christen am Leben der ganzen Region ist ein bemerkenswertes Zeugnis für den christlichen Glauben, ungeachtet der Zeiten von Schmerz und Leiden an verschiedenen Stellen.

5. Der Nahe Osten als Geburtsort des Judentums, des Christentums und des Islam ist für den ÖRK schon seit seiner Entstehung eine Region von besonderem Interesse. Für die Christen ist die Region der Ort, an dem unser Herr empfangen und geboren wurde, an dem er predigte, die Kreuzigung erlitt und auferstanden ist. Sie ist auch das Land, von dem aus die Frohe Botschaft über die ganze bewohnte Erde verbreitet wurde. Unser lebendiger Glaube hat seine Wurzeln in diesem Land und wird erhalten und genährt durch das ungebrochene Zeugnis der Kirchen vor Ort, die ihre eigenen Wurzeln in apostolischer Zeit haben. Ohne diese christliche Präsenz wird die Gastlichkeit zwischen Menschen verschiedenen Glaubens, verschiedener Kulturen und Zivilisationen, die ein Zeichen von Gottes Liebe zu allen Menschen ist, gefährdet. Darüber hinaus wäre ihre Auslöschung ein Zeichen des Versagens der ökumenischen Familie, dem Gebot des Evangeliums zu kostbarer Solidarität Ausdruck zu verleihen.

6. Die Christen im Nahen Osten stehen jetzt vor noch nie dagewesenen Herausforderungen und versuchen, ihnen mit neuen Formen des Zeugnisses zu begegnen. Es ist ihnen mehr denn je bewusst, dass ihre Stimme besser gehört und ihre Präsenz und ihr Einfluss in ihren Gesellschaften mehr geschätzt wird, wenn sie zusammen eine gemeinsame Vision von ihrer Rolle in der Gesellschaft zum Ausdruck bringen und eine einheitliche Botschaft verkünden.

7. Am Geburtsort des Herrn Jesus Christus sind Christen aus allen kirchlichen Traditionen zusammengekommen und haben ihr gemeinsames Wort „des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe“ aus der „Mitte ihres Leidens“ zum Ausdruck gebracht. Das Kairos-Palästina-Dokument fordert die ökumenische Familie und die internationale Gemeinschaft auf, der israelischen Besetzung ein Ende zu setzen. Es ist ein Aufruf an die palästinensische Gemeinschaft, standhaft in ihrem Land zu bleiben, Zeugnis abzulegen von der Liebe Gottes zu allen und sich gleichzeitig dem Übel der Besetzung friedlich zu widersetzen.

8. Die Christen im Irak haben wie alle Bürger unter den schrecklichen und tragischen Folgen der illegalen, unmoralischen und unüberlegten Invasion ihres Landes gelitten. Nach mehreren Jahren der Besetzung haben sie noch immer keine Sicherheit, auch keine soziale Sicherheit. Angesichts der ungeheuren Herausforderungen sind die Christen zusammengekommen und haben den „Rat der christlichen Kirchenführer im Irak“ gegründet, der sich uneingeschränkt für die Förderung aller irakischen Bürger einsetzen will mit dem Ziel, ökumenische Initiativen, Dialog und Partnerschaft mit Muslimen zu fördern.

9. Die jüngsten Entwicklungen in Ägypten haben gezeigt, dass man die demokratischen Bestrebungen einer Bevölkerung nicht unterdrücken kann und dass der soziale Kampf für eine Veränderung zu gleichen Bürgerrechten führen kann. Die Christen in Ägypten, besonders die jungen Menschen, waren ein Teil von diesem Kampf um Würde und Freiheit. Trotz der jüngsten Angriffe auf sie – selbst in ihren Gotteshäusern – durch dunkle Kräfte, die ihre Stabilität und Würde bedrohen, sind sie standhaft und unumstöβlich geblieben. Sie bleiben entschlossen und unerschütterlich, um ihre christliche Präsenz durch Akte des Dienstes zum Ausdruck zu bringen, die das Leben der Einzelnen und der ägyptischen Gesellschaft verändern, wie zum Beispiel als neulich Christen sich an der Hand hielten und einen Kreis bildeten, um betende Muslime auf dem Tahrir-Platz in Kairo zu beschützen.

10. Es besteht jedoch die beunruhigende Tendenz, dass in einigen Teilen der Region religiöse Minderheiten, einschlieβlich der Christen, nicht die gleichen Bürgerrechte haben und dass ihre Präsenz oft durch offene Diskriminierung angefochten wird, besonders wenn es um den Bau von Kirchen geht. Sie sehen sich weiterhin Einschränkungen bei der Ausübung ihrer Religion gegenüber sowie bei ihrem Zugang zu Gotteshäusern, und bisweilen wird ihre historische Existenz durch die Beschlagnahmung von kirchlichem Besitz und Missachtung ihres kulturellen Erbes gefährdet.

11. Der Rat der Kirchen im Mittleren Osten existiert als Bezugspunkt, der die Kirchen in der Region mobilisieren und echte Perspektiven für die Beziehungen zwischen den Kirchen in der Region und dem Rest der Welt bieten kann. Es ist von groβer Wichtigkeit, dieses ökumenische Werkzeug zu erhalten und zu stärken angesichts der wachsenden Herausforderungen und Zeichen der Hoffnung, die sich überall in der Region auftun.

12. Jüngste politische Entwicklungen in der Region verweisen auf Zeichen der Hoffnung auf demokratische Veränderungen, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in verschiedenen Ländern. Die gestellte Aufgabe ist jedoch schwierig. Die Vorstellungen von einem umfassenden gerechten Frieden werden auch nicht annähernd realisiert. Die israelische Besetzung palästinensischer und anderer arabischer Gebiete ist weiterhin eine Quelle der Unruhe und der Spannungen in der Region und darüber hinaus und ein Haupthindernis auf dem Weg zu einem gerechten Frieden, der allen Völkern in der Region Sicherheit, Stabilität und Wohlstand bringen kann. Für den ÖRK bleibt es ein nicht verhandelbarer Grundsatz, dass Frieden und Versöhnung Gerechtigkeit voraussetzen müssen.

13. Das Vorgehen des ÖRK in der Region hat sich immer ausgerichtet an Gottes Gerechtigkeit und Liebe für die ganze Schöpfung, den Grundrechten aller Menschen, der Achtung der Menschenwürde, der Solidarität mit den Bedürftigen und dem Dialog mit Menschen anderen Glaubens. Der ÖRK glaubt weiterhin, dass die Kernherausforderung für die Kirchen, aber auch für die ganze ökumenische Familie, ist, Zeugnis abzulegen von Gottes Gerechtigkeit inmitten ungerechter Besetzung, Freiheitsberaubung und Unterdrückung. Der unumstöβliche Aufruf ist, die Quellen und Strukturen dieser Ungerechtigkeiten sowie die Behörden, die ihren Fortbestand sichern, mutig herauszufordern.       

Der Zentralausschuss, der vom 16.-23. Februar 2011 in Genf tagt,

1. ruft deshalb die ÖRK-Mitgliedskirchen auf zur Solidarität mit den Christen im Irak auf vielfache Art und Weise, einschlieβlich

a) der Unterstützung des neu gebildeten Rates der christlichen Kirchenführer im Irak, damit er zu einer einigenden Kraft für die Kirchen werden kann, so dass sie vereint die vom Krieg zerstörte irakische Gesellschaft wieder aufbauen können;

b) der Unterstützung der Kirchen, um sie zu befähigen, den Menschen im Irak beim Wiederaufbau ihres Lebens zu dienen;

c) der Zusammenarbeit besonders mit den christlichen Gemeinschaften, vor allem jenen, die durch Krieg und Besetzung Schaden genommen haben, damit sie selbständig und dazu ermutigt werden, im Irak zu bleiben als fortdauerndes Zeichen und als Bekräftigung der christlichen Präsenz und des Zeugnisses im Land;

d) der Unterstützung für christliche Flüchtlinge aus dem Irak, die in Nachbarländern leben; 

2. ruft die ÖRK-Mitgliedskirchen dringend auf, das Kairos-Palästina-Dokument zu studieren und zu verbreiten und auf die in diesem Dokument zum Ausdruck gebrachten Bestrebungen und Aufrufe der palästinensischen Christen zu hören und konkret zu reagieren;

3. ermuntert die ÖRK-Mitgliedskirchen, den Inhalt und die Vorschläge der Konferenz „Gemeinschaften verändern: Christen und Muslime bauen eine gemeinsame Zukunft“, die im November 2010 gemeinsam vom ÖRK und einer Anzahl internationaler muslimischer Organisationen einberufen wurde, zu prüfen und umzusetzen;

4. bekräftigt den Aufruf dieser Konferenz zur Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, die einberufen werden kann, sobald eine Krise auszubrechen droht, in der Christen und Muslime in Konflikt miteinander stehen;

5. betrachtet die jetzigen Ereignisse in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens als eine Gelegenheit zu friedlichen  positiven Veränderungen in den Gesellschaften und ermutigt die Menschen in der Region, darunter auch die Christen, dazu, auch weiterhin ihre Rolle bei dem gemeinsamen Streben nach Sicherung von Menschenrechten, Frieden und Achtung für alle Menschen der Region zu spielen;

6. ruft dazu auf, in Zusammenarbeit mit den Kirchen in der Region eine internationale ökumenische Konferenz im Jahr 2012 einzuberufen, die sich mit den neuen Herausforderungen befassen soll, vor denen die Christen im Nahen Osten stehen;

7. lädt die Kirchen und ihre auf dem Gebiet der Unterstützung und Solidarität im Nahen Osten tätigen Werke ein, dem Rat der Kirchen im Mittleren Osten bei seiner Neuausrichtung und Neubelebung koordinierte Unterstützung zu gewähren, so dass er seine Mission als einzigartiges ökumenisches Werkzeug für die Zusammenführung und Koordination kirchlichen Zeugnisses und kirchlicher Arbeit wirksam erfüllen kann;

8. zu beten und sich auch weiterhin für eine proaktive ökumenische Anwaltschaft in Solidarität mit den Kirchen im Nahen Osten zu engagieren.  

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