Ökumenischer Rat der Kirchen
ZENTRALAUSSCHUSS
Genf, Schweiz
26. August - 2. September 2003

Zwischenbericht zum Konsensverfahren

1. Nach dem Beschluss des Zentralausschusses, bei Entscheidungsprozessen zum Konsensverfahren überzugehen, wurde vom Generalsekretär in Abstimmung mit den leitenden Amtsträgern/innen eine kleine Weisungsgruppe gebildet. Die Gruppe begann mit einer Analyse der in diesem Zusammenhang zu behandelnden Themen und Fragen und berücksichtigte dabei den Bericht der Sonderkommission, insbesondere Anhang B. Im Februar 2003 wurde dem Exekutivausschuss ein Fortschrittsbericht vorgelegt. Das Thema wurde auf der Tagung des Koordinierungsausschusses der Sonderkommission, die vom 4. bis 7. Juni in Thessaloniki stattfand, weiter erörtert.

2. Ausgangspunkt der Analyse war die gültige Geschäftsordnung in der Satzung (Artikel XVI). Im Vergleich mit dem in der Unionskirche in Australien angewandten Leitfaden kam man zur Schlussfolgerung, dass die derzeitige Unterscheidung in drei Sitzungskategorien – allgemeine, beratende und Geschäftssitzungen – neu überdacht und vereinfacht werden sollte. Um mehr Raum für einen wirklichen Dialog und Meinungsaustausch zu einem bestimmten Thema zu schaffen, könnte es ratsam sein, eine „Hearing“-Sitzung einzuführen. Außerdem entstand der Eindruck, dass man mehr Klarheit über den Prozess der Agendaplanung und die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Leitungsgremien gewinnen müsse. Die derzeit beim ÖRK angewandten Verfahren sehen vor, dass Themen zur Diskussion und Entscheidung im Plenum eingeführt werden; anschließend erfolgt eine eingehende Prüfung sowie die Ausarbeitung von Empfehlungen in Weisungsausschüssen. Dagegen sehen die meisten Rahmen zur Entscheidungsfindung im Konsensverfahren vor, dass Kleingruppen einen Vorschlag diskutieren und ihre Ergebnisse dem Plenum durch eine Präsentationsgruppe vorgestellt werden. Vor- und Nachteile dieser beiden Verfahren müssen untersucht werden. Außerdem sollte die Reihenfolge der Wortmeldungen überprüft werden. Schließlich sollte entschieden werden, ob der Konsens das normale Verfahren der Entscheidungsfindung bei allen anstehenden Fragen sein sollte oder ob, wie von der Sonderkommission vorgeschlagen, bestimmte Angelegenheiten durch Abstimmungen geregelt werden sollten.

3. Gestützt auf die Empfehlungen des Exekutivausschusses und des Koordinierungsausschusses der Sonderkommission hat die Weisungsgruppe ihre Beratungen fortgesetzt und stellt nun den folgenden Zwischenbericht vor.

I. Ziele der Einführung des Konsensverfahrens

A. Als der Ökumenische Rat der Kirchen 1948 gegründet wurde, kam die große Mehrheit seiner Mitgliedskirchen aus Europa und Nordamerika. Von Anfang an waren die im ÖRK angewandten Leitungsverfahren ein Abbild der vorwiegend westlich geprägten Parlamentsverfahren, wie sie auch von protestantischen Kirchen in diesen Teilen der Welt praktiziert wurden. Mit der Erweiterung des ÖRK zu einer wirklichen Weltgemeinschaft der Kirchen und mit dem immer stärkeren Vorrücken von Frauen und Jugendlichen in kirchliche Leitungspositionen wurde zunehmend Frustration über die parlamentarischen Verfahren laut. Seit einigen Jahren nun sind Hoffnungen und Erwartungen aufgekommen, dass die Verfahren, mit denen der Rat sein Leben gestaltet, angemessener die Veränderungen widerspiegeln mögen, die in der Organisation seit ihrer Gründung stattgefunden haben.

B. Die Achte Vollversammlung in Harare nahm das Dokument „Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis und einer gemeinsamen Vision“ (CUV) entgegen und definierte den ÖRK eindeutiger als eine Gemeinschaft von Kirchen, die miteinander danach streben, ihre gemeinsame Berufung zu erfüllen. Dies bedeutete auch eine Veränderung der Verfassung und Satzung. Ausgehend von der CUV-Studie empfahl die Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit im ÖRK neben weiteren Veränderungen, dass der ÖRK zum Konsensverfahren übergehen sollte; damit sollte alten Bedenken der orthodoxen Kirchen Rechnung getragen werden, dass sie als zahlenmäßige Minderheit in den verschiedenen Leitungsgremien auch in Zukunft Schwierigkeiten haben würden, ihre Interessen und Ansichten vorzutragen und einzubringen. Diese Empfehlung stand ganz in Einklang mit der Überzeugung anderer, dass die Zeit für einen Wechsel zum Konsensprinzip gekommen sei.

C. Die Art und Weise, wie Kirchen ihr gemeinsames Leben im Ökumenischen Rat der Kirchen gestalten, hat tiefe Auswirkungen auf die Qualität der Gemeinschaft, die sie erleben und anstreben. Die Mittel, mit denen Kirchen nach einer gemeinsamen Stimme suchen, sind ebenso wichtig wie die Entscheidungen, die sie treffen. Prozesse haben die gleiche Bedeutung wie Endprodukte. Im Idealfall ruft der ÖRK Kirchen aus unterschiedlichen konfessionellen Traditionen und unterschiedlichen Standorten dazu auf, eine engere Beziehung miteinander einzugehen, sich in dem einen Leib Christi gegenseitig aufzubauen, einander genau zuzuhören und offen für die unterschiedlichen Traditionen und Erfahrungen zu sein, füreinander einzutreten, gemeinsame Überzeugungen ebenso wie grundsätzliche Differenzen klar auszusprechen und in einen Dialog darüber einzutreten und somit im Glauben und in der Gemeinschaft zu wachsen. Ein bedeutsames Bild von der Kirche im Neuen Testament ist das Bild vom Leib Christi mit seinen verschiedenen Gliedern, die dennoch eins sind. In 1. Kor 12,12-27 spricht Paulus davon, dass die Glieder des Leibes einander brauchen. Damit der Leib uneingeschränkt funktionieren kann, muss er all seine Glieder mit ihren Fähigkeiten und Beiträgen einbeziehen. Ziel des ÖRK sollte es sein, Verfahrensweisen einzuführen, die den größtmöglichen Nutzen aus den Gaben, der Geschichte, den Erfahrungen, dem Engagement und der geistlichen Tradition aller Mitgliedskirchen ziehen.

D. Das Konsensverfahren dient der Feststellung der gemeinsamen Meinung einer Versammlung, auf der keine Abstimmung erfolgt. Ein Konsens ist erreicht, wenn eine der folgenden Situationen gegeben ist:
· alle stimmen überein (Einstimmigkeit);
· die Mehrheit stimmt überein und diejenigen, die anderer Meinung sind, stimmen zu, dass eine ausführliche und faire Aussprache stattgefunden hat und dass der Vorschlag die allgemeine „Meinung der Versammlung“ wiedergibt; die Minderheit erteilt daher ihre Zustimmung;
· die Versammlung erkennt an, dass es verschiedene Meinungen gibt, und kommt überein, diese in den Text des Vorschlags (und nicht nur ins Protokoll) aufzunehmen;
· man kommt überein, die Angelegenheit auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben;
· man kommt überein, dass keine Entscheidung erreicht werden kann.

E. Kein Leitungsverfahren kann immer perfekt oder reibungslos funktionieren. Wahrscheinlich werden auch in Zukunft gelegentlich Freude und Schmerz in den Beratungen des ÖRK sowie in anderen Dimensionen des Lebens der Organisation spürbar werden. Viele möchten jedoch von Parlamentsverfahren abrücken, weil diese ihrem Wesen nach konfrontative Interaktionen fördern. Vorschläge werden nur im Hinblick auf „Pro und Contra“ diskutiert, und häufig ist eine Untersuchung einer größeren Bandbreite von Aspekten nicht möglich. Im Wechsel zum Konsensverfahren zeigt sich die Hoffnung, dass alle Dialogpartner einander gleichgestellt sein mögen – Minderheiten ebenso wie kleine und größere Kirchen. Der Wechsel soll sicherstellen, dass alle Partner sich stärker einbringen können. Kirchen stellen sich damit den Herausforderungen und Chancen ihres Engagements, beieinander zu bleiben; gleichzeitig soll das Konsensverfahren mehr Offenheit und Ehrlichkeit in der Kommunikation fördern.

F. Das Konsensverfahren sollte Standard für alle Beratungsebenen im Leben des Rates sein, darunter alle Mitarbeiterbesprechungen, alle Untergruppen von Leitungsgremien, den Zentralausschuss und die Vollversammlung. Konsens sollte auch das Standardprinzip sein, nach dem entschieden wird, welche Fragen und Themen erörtert werden und auf welche Weise dies geschehen soll, mit anderen Worten, die Agendaplanung. Diskussionen und Zwischenberichte sollten versuchen, von Anfang bis Ende des gesamten Prozesses alle Gesichtspunkte zu behandeln und einzubeziehen. Ein Konsens in größeren Leitungsgremien kann leichter hergestellt werden, wenn alle Untergruppen und Ausschüsse dieses Verfahren anwenden, das heißt, wenn sie Ergebnisse melden, die die gemeinsamen Überzeugungen widerspiegeln – da, wo Übereinstimmung erreicht wird – bzw. die Bandbreite der Meinungen, wo eine Übereinstimmung nicht erreicht werden kann. Strebt man danach, Übereinstimmung zu verkünden, wo sie nicht besteht, erschwert dies häufig eine Beteiligung aller und einen wirklichen Dialog. Übereinstimmung zu verkünden, wo sie besteht, demonstriert hingegen das kraftvolle gemeinsame Zeugnis der Gemeinschaft.

II. Prinzipien der Leitung

A. Ziel jedes Leitungssystems im ÖRK sollte sein:

(1) so einfach wie möglich zu sein und nur so komplex wie nötig;
(2) transparent zu sein;
(3) Mitwirkung und Dialog in der gesamten Gruppe zu gewährleisten;
(4) zu verhindern, dass ein/e Teilnehmer/in oder eine kleine Gruppe von Teilnehmern/innen eine dominierende Rolle einnimmt;
(5) Diskussionen, in denen Teilnehmer/innen einander widersprechende Grundüberzeugungen über Fragen äußern, die zentral für ihre christlichen Überzeugungen sind, mit Höflichkeit, Respekt und Würde zu führen;
(6) dafür zu sorgen, dass Diskussionen ordnungsgemäß geführt und Entscheidungen rechtzeitig getroffen werden;
(7) kreative Alternativen zu sondieren;
(8) dafür zu sorgen, dass einige wenige Teilnehmer/innen nicht Entscheidungen behindern, wenn die große Mehrheit bereit für eine solche Entscheidung ist;
(9) dafür zu sorgen, dass der/die Vorsitzende Diskussionen nicht in eine von dem jeweiligen Gremium unerwünschte Richtung steuert;
(10) die Fähigkeit der im ÖRK zusammengeschlossenen Kirchen zum gemeinsamen Zeugnis und Dienst zu stärken.

III. Agendaplanung und Agendaverteilung zwischen den verschiedenen Leitungsgremien

A. Als sich die Sonderkommission zur Agendaplanung des ÖRK äußerte, dachte sie weniger an die konkrete Tagesordnung für die Entscheidungen, die während einer bestimmten Sitzung eines Leitungsgremiums zu treffen sind, als vielmehr an den Prozess, durch den bestimmte Fragen und Themen in das Arbeitsprogramm des ÖRK aufgenommen werden. Wir sollten daher zwischen der „Programmagenda“ und der „Geschäftsagenda“ des Rates unterscheiden. Die grundlegenden Richtungsentscheidungen für die Programmarbeit des ÖRK werden zunächst vom Ausschuss für Programmrichtlinien einer Vollversammlung getroffen und anschließend in der Zeit zwischen den Vollversammlungen vom Programmausschuss weiter entwickelt. Durch die Einrichtung des Weisungsausschusses für Grundsatzfragen II sollte außerdem der Zentralausschuss in die Lage versetzt werden, Initiative bei der Programmplanung zu ergreifen, indem er dem Programmausschuss oder einzelnen Beratungsgremien Vorschläge dazu vorlegt. Die Kommissionen und Beratungsgremien tragen beratend zur Programmgestaltung des Rates bei. Man wird klären müssen, auf welche Weise der „paritätisch besetzte Ausschuss“ am Prozess der Vorbereitung und Überwachung dieser Programmplanung teilnehmen soll.

B. Der Begriff der Entscheidungsfindung bezieht sich gemeinhin auf die Tagesordnung der Leitungsgremien des Rates. Zum besseren Verständnis ist es wichtig, die verschiedenen Leitungsebenen zu unterscheiden und den jeweiligen Ebenen die Zuständigkeiten für einzelne Aufgaben zuzuordnen:

      Vollversammlung: Wahl des Zentralausschusses und der Präsidenten/innen; Änderungen von Verfassung und Satzung; Entgegennahme des Berichts des Zentralausschusses und Annahme der Programmrichtlinien;

      Zentralausschuss: Wahl des Exekutivausschusses und der leitenden Amtsträger/innen, einschließlich des Generalsekretärs/der Generalsekretärin; Berufung von Kommissionen und Beratungsgremien; Berufung der leitenden Mitarbeiter/innen; Haushalts- und Finanzpolitik; strategische Programmplanung.

      Exekutivausschuss: administrative Entscheidungen; Einstellung von Mitarbeitern/innen.

C. Öffentliche Erklärungen können von allen Leitungsgremien abgegeben werden, einschließlich der leitenden Amtsträger/innen und des Generalsekretärs. Öffentliche Erklärungen der Vollversammlung oder des Zentralausschusses konzentrieren sich auf Fragen, die zumindest mittelfristige Bedeutung haben.

D. Bei der Überarbeitung der Verfahren für die Agendaplanung sollte man darauf achten, die Transparenz des Verfahrens zu erhöhen. Im Normalfall wird die Aufstellung der „Geschäftstagesordnung“ von den leitenden Amtsträgern/innen und dem Generalsekretär überwacht und geleitet. Die Praxis der Vorbereitung kommentierter Tagesordnungen für alle Sitzungen, auf denen Entscheidungen getroffen werden, ist auf positive Reaktionen gestoßen. Für die Sitzungen der Leitungsgremien wäre es wünschenswert, dass die Mitglieder etwa vier bis sechs Wochen vor der Sitzung eine kommentierte Tagesordnung zusammen mit den dazugehörigen Dokumenten zugeschickt bekommen.

E. Viele kleinere Tagesordnungspunkte werden nicht zunächst im Plenum vorgestellt und erst dann an die Unterausschüsse oder Weisungsausschüsse weitergeleitet. Sie werden von Anfang an in die Tagesordnung des Unterausschusses aufgenommen; die dazugehörigen Dokumente werden dem Unterausschuss vorgelegt und dem Plenum zur Information verfügbar gemacht. Um die Transparenz dieses Verfahrens zu erhöhen, wird vorgeschlagen, die kommentierten Tagesordnungen der jeweiligen Weisungs- oder Unterausschüsse allen Mitgliedern des Zentralausschusses oder allen Delegierten der Vollversammlung zuzuschicken. Da Empfehlungen für eine Entscheidung in den Weisungs- oder Unterausschüssen ausgearbeitet werden, wird eine frühzeitige Versendung der Tagesordnungen es den Mitgliedern ermöglichen, andere Unterausschüsse als den, dem sie zugeordnet sind, über dringende Anliegen zu informieren – oder darum zu bitten, einem anderen Ausschuss zugeteilt zu werden. Außerdem sollten Unterausschüsse dazu aufgefordert werden, Protokoll über ihre Diskussionen zu führen und allen Mitgliedern der Leitungsgremien auf Anfrage zur Verfügung zu stellen; so könnten sich Berichte und Empfehlungen, die dem Plenum zur Behandlung und Entscheidung zur Verfügung gestellt werden, auf eine begrenzte Zahl wesentlicher Fragen konzentrieren.

IV. Sitzungskategorien

A. In der aktuellen Fassung der Satzung heißt es: „Die Vollversammlung tagt entweder in allgemeiner Sitzung (siehe Artikel XVI.4), in Geschäftssitzung (siehe Artikel XVI.5) oder in beratender Sitzung (siehe Artikel XVI.6). Der Geschäftsausschuss legt nach dem jeweils vorliegenden Gegenstand der Tagesordnung die Art der Sitzung fest.“ In der Praxis wird diese Unterscheidung nicht immer eingehalten; die Sitzungskategorie wird im Laufe ein und derselben Sitzung ohne klare Entscheidung oder Beschluss verändert, was zu Verwirrung bei den Mitgliedern geführt hat.

B. Die wesentliche Unterscheidung sollte zwischen Sitzungen getroffen werden, die der Diskussion, dem Dialog und Austausch vorbehalten sind, und solchen, auf denen Entscheidungen getroffen werden sollen. Dialogsitzungen können zu allgemeinen oder zeremoniellen Zwecken einberufen werden, zu öffentlichen Zeugnisakten, zur Information, zur Beratung oder auch zur Anhörung unterschiedlicher Standpunkte. Während einer solchen Sitzung sollten nur Verfahrensentscheidungen zugelassen werden, wie die Vorlage eines Berichts zur weiteren Beratung oder die Verweisung eines Punktes an einen Unterausschuss; diese Entscheidungen können mit einfacher Mehrheit getroffen werden.

C. Die andere Hauptkategorie sind Entscheidungssitzungen. Auf diesen Sitzungen geht es um Wahlen und Ernennungen, Vorschläge für die Struktur, die Organisation, den Haushalt oder das Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen sowie Angelegenheiten theologischer oder grundsätzlicher Natur. Im Normalfall geht die Entscheidungssitzung einer Vollversammlung oder des Zentralausschusses von einem Bericht, einer Empfehlung oder einem Vorschlag aus, der vorher ausführlich von der vorschlagenden Gruppe bzw. Unterausschuss erörtert und im Konsens unterstützt wurde. Der/die Vorsitzende sollte die Kategorie der Sitzung deutlich angeben; der Übergang von einer Kategorie zur anderen bei der Behandlung des gleichen Punktes der Tagesordnung kann die Zustimmung des jeweiligen Gremiums erfordern.

D. Besonders im Plenum sollte der/die Vorsitzende während der Dialogsitzungen ausreichend Zeit einräumen, damit alle Meinungen geäußert werden können. Häufig sollte Gelegenheit gegeben werden, sich in Tisch- oder Kleingruppen auszutauschen. So kann die Diskussionsbeteiligung gefördert werden; komplexe Fragen können entwirrt werden. Allerdings müssen auch Möglichkeiten gefunden werden, wie die Tischgespräche wieder in den Dialog im Plenum einfließen können. Aus den Erfahrungen der Kirchen, die bereits mit Konsensverfahren arbeiten, lassen sich verschiedene Methoden ableiten, wie dies erreicht werden kann.

V. Leitungsverfahren

A. Das Konsensprinzip sollte für alle Entscheidungen in Sitzungen der Leitungsgremien des ÖRK zum Standard erhoben werden. Es gibt keinen Anlass, eng miteinander zusammenhängende Fragen zu trennen. Haushalts- und andere Finanzentscheidungen wirken sich auf Programm- und Personalentscheidungen aus und umgekehrt. Wenn man einen Wechsel in der Entscheidungskultur erreichen will, erscheint es nicht konsequent, in manchen Fällen die traditionelle Abstimmungsmethode zu benutzen und in anderen das Konsensverfahren.

B. Der Koordinierungsausschuss der Sonderkommission ist der Ansicht, dass auch die Aufnahme neuer Mitgliedskirchen nach dem Konsensprinzip entschieden werden sollte. Da dies eine Änderung der Verfassung des ÖRK (Artikel II) bedeuten würde, sollte der Zentralausschuss hier eine klare Empfehlung aussprechen.

C. Es erscheint notwendig oder vernünftig, das System der Mehrheitsentscheidung bzw. qualifizierten Mehrheitsentscheidung in den folgenden konkreten Fällen beizubehalten:

· Verfassungsänderungen (für die eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist);
· Wahlen (für die die Art der Mehrheit im Einzelfall bestimmt werden muss);
· Annahme der Jahresrechnung und des Berichts der Rechnungsprüfer (einfache Mehrheit);
· eine Reihe kleinerer Verfahrensfragen (einfache Mehrheit).

Die ersten drei erwähnten Fälle müssten in der Satzung spezifiziert werden.

D. Die kleineren Verfahrensfragen sollten entweder einzeln erwähnt werden, oder die Satzung sollte eine allgemeine Formulierung enthalten, die der Moderationsgruppe eine Entscheidung im Einzelfall erlaubt. Damit sollen Sitzungen verfahrenstechnisch beschleunigt und Zeitverluste vermieden werden. Beispiele dafür wären die Annahme einer unumstrittenen Tagesordnung, die Wahl von Stimmenzählern/innen sowie Entscheidungen über Änderungen des Zeitplans für einen Tag.

E. Alle einer Entscheidung durch ein Leitungsgremium des ÖRK vorausgehenden Prozesse, darunter die Vorbereitungen für die oben erwähnten Mehrheitsentscheidungen, sollten nach der Konsensmethode durchgeführt werden. Dies betrifft beispielsweise alle (Unter-)Ausschüsse der Vollversammlung oder des Zentral- bzw. Exekutivausschusses. Für den Fall, dass während der Beratungen eines solchen (Unter-)Ausschusses (Weisungsausschuss für Grundsatzfragen, Finanzausschuss, Nominierungsausschuss) kein Konsens erreicht werden kann, sollten die abweichenden Stimmen im Bericht an das Leitungsgremium aufgeführt werden.

VI. Reihenfolge der Wortmeldungen

A. Die Reihenfolge der Wortmeldungen in einer Beratung kann großen Einfluss auf die Richtung einer Diskussion haben. Das gegenwärtig bei großen Tagungen (z.B. dem Zentralausschuss und der Vollversammlung) angewandte System überträgt den Vorsitzenden die Autorität und Macht, die Redner unter denen auszuwählen, die schriftliche Wortmeldungen eingereicht haben. Diese Methode erlaubt es den Vorsitzenden, bei der Reihenfolge der Redner/innen abzuwechseln zwischen denen, die die Vorschläge unterstützen oder kritisieren, denen, die Fragen stellen wollen, und denen, die alternative Vorschläge vorbringen. Diese Methode erlaubt es auch dem/der Vorsitzführenden, einzelne Teilnehmer/innen zum Reden einzuladen, eine wichtige Geste der Höflichkeit in manchen Traditionen.

B. Trotz aller Bemühungen der Vorsitzenden können bei diesem Verfahren jedoch einige, die sich nicht zu Wort melden konnten, frustriert sein darüber, dass ihre dringenden Anliegen in der Debatte nicht zur Sprache kamen oder dass die Redner/innen nach Kriterien ausgewählt wurden, die nicht für alle transparent offengelegt wurden.

C. Eine alternative Methode für die Reihenfolge der Wortmeldungen sieht so aus, dass man drei oder mehrere Mikrophone aufstellt, bei denen sich die Teilnehmer/innen anstellen können. Ein Mikrophon könnte für die gedacht sein, die einem Vorschlag grundsätzlich zustimmen, ein Mikrophon für die, die ihm kritisch gegenüberstehen, und eines für die, die Fragen oder alternative Vorschläge haben, usw. Auf diese Weise könnte der/die Vorsitzende bei der Diskussionsleitung so zwischen den Mikrophonen abwechseln, dass ein ausführlicher Meinungsaustausch gefördert wird. Ähnliche Verfahren wurden bereits mit Erfolg bei einigen großen Versammlungen des ÖRK erprobt.

D. Allerdings verlangt dieses Verfahren, dass Teilnehmer/innen, die ihre Meinung vortragen wollen, selbst die Initiative ergreifen, sich anzustellen, eine Praxis, durch die sich schüchterne Menschen vielleicht an einer Beteiligung hindern lassen oder durch die diejenigen, die lieber höflich durch den Vorsitzenden oder die Vorsitzende zum Reden aufgefordert werden wollen, sich von einer Beteiligung abhalten lassen.

E. Eine dritte Alternative besteht darin, zwischen oder innerhalb von Sitzungen, auf denen ein Thema oder ein Vorschlag beraten wird, abwechselnd beide Methoden anzuwenden. Vielleicht gibt es auch weitere Alternativen, die noch untersucht werden müssen.

F. Welches Verfahren auch immer angewandt wird, so sollten auf jeden Fall die folgenden Grundregeln befolgt werden:
· Ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin darf nur dann sprechen, wenn der/die Vorsitzenden ihm/ihr das Wort erteilt;
· ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin darf zu jeder Zeit einen Antrag zur Geschäftsordnung stellen;
· alle Redner/innen sollten ihren Namen und den Namen ihrer Kirche nennen;
· die Redezeit aller Redner/innen sollte begrenzt werden, um eine maximale Beteiligung sicherzustellen.

G. Personen, die am Dialog teilnehmen wollen, aber nicht zur Teilnahme am Entscheidungsprozess berechtigt sind, wie Vertreter/innen der dem Rat assoziierten Kirchen, ökumenische Delegierte oder Beobachter/innen, erhalten nur dann Rederecht, wenn sie dem/der Vorsitzenden eine schriftlichen Wortmeldung eingereicht haben und diese bewilligt wurde; ohne Erlaubnis des/der Vorsitzenden dürfen sie sich während der offenen Mikrophonphase einer Sitzung nicht bei einem Mikrophon anstellen.

VII. Unterstützung des/der Vorsitzenden

A. Offensichtlich ist die Rolle des/der Vorsitzenden entscheidend für die Handhabung der Konsensverfahren. In allen Leitfäden von Kirchen, die mit der Konsensmethode arbeiten, wird die Bedeutung einer geeigneten Schulung für die Vorsitzenden hervorgehoben. Im Rahmen des ÖRK, wo unterschiedliche kirchliche und kulturelle Traditionen zusammenkommen, muss ein geeigneter Stil der Vorsitzführung entwickelt werden, der eine Diskussion und Entscheidungsfindung nach dem Konsensprinzip fördert. Für Vorsitzende von ÖRK-Tagungen sollte ein spezifischer Leitfaden mit Richtlinien ausgearbeitet werden.

B. Es sollten Möglichkeiten gefunden werden, wie man von den Erfahrungen von Kirchen wie der Unionskirche in Australien profitieren kann. Vor dem ersten Einsatz der Konsensverfahren sollten Berater/innen solcher Kirchen zu einer Tagung der leitenden Amtsträger/innen eingeladen werden, um diese auf die Veränderungen aufmerksam zu machen, die das Konsensverfahren für ihre Rolle mit sich bringen wird. Zur Unterstützung der leitenden Amtsträger/innen könnten solche Berater/innen auch zur ersten Tagung des Zentralausschusses eingeladen werden, auf der Konsensverfahren eingesetzt werden, sowie zur Vollversammlung 2006, um den Sitzungsverlauf zu beobachten und die leitenden Amtsträger/innen zu beraten.

C. Ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit dem Konsensverfahren besondere Beachtung verdient, ist die Art und Weise, in der der Sitzungsverlauf protokolliert wird. In vielen Fällen wird das Diskussionsprotokoll wichtiger sein als der Wortlaut der endgültigen Entscheidung oder Empfehlung. Daher sollten für die Protokollführer/innen ebenfalls Richtlinien aufgestellt werden. Eine Plazierung des/der Protokollführers/in in unmittelbarer Nähe zum/zur Vorsitzenden könnte hilfreich sein, damit er/sie eingreifen kann, falls Unklarheit über den genauen Inhalt oder Wortlaut der getroffenen Vereinbarung besteht. Der oder die Protokollführer/in sollte als Teil der „Moderationsgruppe“ für die betreffende Sitzung angesehen werden.

VII. Vorschlag der Ko-Vorsitzenden

A. Bei der Untersuchung der Frage, auf welche Art und Weise das Prinzip der „Parität“ unterstützt werden könnte, kam man auf die Idee, zwei Vorsitzende und zwei Vize-Vorsitzende für die Leitungsgremien des ÖRK vorzuschlagen. Auch wenn diese Möglichkeit ebenso logisch wie legitim erscheint und daher große Beachtung verdient, erscheinen die praktischen Auswirkungen höchst problematisch.

B. Einige der Punkte, die bei dieser Diskussion sorgfältig bedacht werden sollten, sind:
· die „Symbolwirkung“ einer Person an der Spitze eines Leitungsgremiums (wie es in nahezu allen kirchlichen konziliaren Gremien praktiziert wird);
· welche technischen Schwierigkeiten damit verbunden sind, wenn zwei Personen gleichzeitig die Gemeinschaft „repräsentieren“ (insbesondere in Notfällen);
· die Unsicherheiten, die mit einem eventuellen „rotierenden“ System (mit einem zeitlich begrenzten Mandat) verbunden sind;
· die hohen Erwartungen an den/die Vorsitzende/n zum Zeitpunkt des Übergangs zum Konsensverfahren;
· die Wahrscheinlichkeit, dass Ko-Moderatoren die Macht des Generalsekretärs stärken würden.

C. Etliche Versuche, eine Lösung zu finden, waren nicht erfolgreich, darunter auch die jüngste Diskussion der Angelegenheit durch den Koordinierungsausschuss der Sonderkommission (Thessaloniki, Juni 2003). Daher sollte die Debatte fortgesetzt werden. Einige Fragen könnten als Ausgangspunkt der Diskussion dienen:
· Ist Parität auf der Ebene des/der (einer oder zweier) „Vorsitzenden“ die einzige Möglichkeit, oder wäre sie auch auf der breiteren Ebene der „leitenden Amtsträger/innen“ denkbar?
· Ist Parität – zumindest für diese Übergangsperiode und auf Versuchsbasis – für alle Weisungsausschüsse des Zentralausschusses vorstellbar?
· Wie kann das Prinzip der Parität mit dem Gebot der Ausgewogenheit zwischen Regionen und Geschlechtern in Einklang gebracht werden?

IX. Der weitere Prozess

A. Sowohl der Exekutivausschuss als auch der Koordinierungsausschuss der Sonderkommission haben diskutiert, wie der weitere Prozess aussehen soll. Beide stimmen darin überein, dass der Zentralausschuss auf seiner Tagung im August/September 2003 auf der Grundlage dieses von der kleinen Weisungsgruppe vorbereiteten Zwischenberichts vorgeben soll, in welche Richtung die künftige Arbeit gehen soll.

B. Nach der Tagung des Zentralausschusses 2003 sollte eine Sonderkonsultation abgehalten werden, an der Vertreter/innen von Kirchen teilnehmen, die bereits Konsensverfahren anwenden; dies sollte noch vor der Tagung des Exekutivausschusses im Februar 2004 geschehen. Hauptziel dieser Tagung sollte es sein, einen ersten Entwurf der neuen Verfahrensregeln und einen Leitfaden für ihre Einführung auszuarbeiten.

C. Nach der Tagung des Exekutivausschusses im Februar 2004 sollte der Entwurf der neuen Verfahrensregeln den Mitgliedskirchen und den Mitgliedern des Zentralausschusses zur Information und Kommentierung übermittelt werden. Auf der Grundlage der eingegangenen Kommentare sollte die kleine Weisungsgruppe den Entwurf dann überarbeiten, damit der Exekutivausschuss auf seiner Tagung im Herbst 2004 dem neuen Rahmen die endgültige Form geben kann.

D. Auf der Tagung des Zentralausschusses im Februar 2005 sollten die neuen Konsensverfahren erstmals angewandt werden; die Tagung dient damit als Versuchsfeld für die Methode. Ausgehend von den bei dieser Tagung gesammelten Erfahrungen muss der Rahmen, also die Satzung und der Leitfaden, möglicherweise nochmals überarbeitet werden, bevor sie endgültig für den Einsatz auf der Neunten Vollversammlung verabschiedet werden.