Kehrt um zu Gott - seid fröhlich in Hoffnung!

4. Dezember 1998

Metanoia

von Dr. Wanda Deifelt

Es gibt Zeiten - auch wenn sie vielleicht zu selten wiederkehren - , da wird der Menschheit bewußt, daß sie wahre Umkehr, einen Richtungswechsel und einen Neubeginn nötig hat. Diese Augenblicke, da Gott in die Geschichte eintritt, machen uns nicht nur bewußt, daß wir uns vom Göttlichen losgesagt haben, sondern, daß wir im Grunde genommen durch unsere Sündhaftigkeit auch unsere Menschlichkeit verloren haben. Wenn wir die Verbindung zu dem, was uns zum Menschen macht, verlieren, dann werden wir unempfänglich für die Bedürfnisse unseres Nächsten und für unsere eigenen Bedürfnisse.

 Metanoia - Umkehr - zwingt uns, den Zwiespalt menschlicher Existenz auszuhalten: Wir sind Heilige und Sünder zugleich. Wir sind zu Güte, Großzügigkeit und Liebe fähig, aber auch zum Bösen, zu Egoismus und Haß. In dieser Dichotomie erliegen wir leicht der Versuchung der Selbsterhaltung und der Beibehaltung des Status quo. Wir vergessen es, mutig zu wagen. Es verblüfft zu sehen, wie wir uns als Christen den Regeln dieser Welt unterwerfen. Das leidenschaftliche Engagement für Gerechtigkeit, die Bereitschaft, Risiken einzugehen und gerechtere Beziehungen aufzubauen, sind lange Zeit ins Hintertreffen geraten.

 Wir Menschen sind stets am Scheideweg zwischen Wandel und Bejahung des Status quo. Aber wir sehnen uns auch nach einer anderen Wirklichkeit. Wir haben Heimweh und vermissen etwas, das wir aus eigener Kraft nicht erreichen können. Mit den Worten von Nelle Morton: "Ich erkannte, daß Heimat kein Ort war. Heimat ist Bewegung, die Qualität einer Beziehung, ein Zustand, in dem Menschen danach trachten, sie selbst zu sein und wachsende Verantwortung für die Welt zu übernehmen." ... So stellen wir uns das Reich Gottes vor: eine Welt, in der Gerechtigkeit, Frieden, Wiederanbindung und Versöhnung regieren. Wir sehnen uns nach etwas, das schon Wirklichkeit, aber noch nicht vollendet ist - eine Wirklichkeit, die nur durch Gott in Jesus Christus und durch die Kraft des Heiligen Geistes geschaffen werden kann. Dann werden wir in unsere Heimat zurückkehren können.

 Wir tun Buße wie verlorene Kinder, die nach Hause zurückkehren. Wir tun an erster Stelle Buße für unser Gottesverständnis. Chico César, ein brasilianischer Liedermacher und Musiker singt in seinem afro-brasilianischen Beat: Es gibt Menschen, die Gott nicht in Ruhe lassen, die Gott behandeln wie ihren persönlichen Dienst. Diese Menschen sind der Teufel, und sie machen Gott das Leben zur Hölle." Wir bereuen unsere Versuche, Gott zu zähmen und definieren Gottes Größe mit den Mitteln unserer unvollkommenen Sprache und Erfahrung. Wir bekennen, daß wir Gottes Namen benutzen, um menschliches Handeln zu rechtfertigen.

 Also beten wir: "Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden." Wir tun auch Buße für das Verständnis, das wir von unseren Mitmenschen haben. Im 1. Mose wird berichtet, daß Gott Mann und Frau nach seinem Bilde geschaffen hat. Alle Menschen spiegeln Gottes Bild wider, unabhängig von der gesellschaftlichen Klasse, ihrer Rasse, Kaste, ihrem Geschlecht, Alter oder ihrer sexuellen Orientierung. Wenn wir einander in die Augen schauen, bekommen wir eine Ahnung vom Göttlichen. Wenn Beziehungen zwischen Menschen zerbrochen sind, können wir einander nicht mehr begegnen, uns nicht mehr in die Augen schauen. Entweder wir fühlen uns überlegen und schauen dann auf den andern herab, oder wir erleben Hilflosigkeit und schauen zu ihm auf. Jemandem in die Augen zu schauen heißt, ihm ebenbürtig zu sein, ihm gleichgestellt zu sein. Metanoia heißt Umkehr zum Anderssein. Die, die fremd und sonderbar sind, finden Schutz unter den Flügeln Gottes und unter dem Kreuz Christi.

 Wir tun Buße für unser Verständnis von der Natur und die Art und Weise, wie wir Gottes Schöpfung behandeln. Angesichts des voranschreitenden Omnizids", der nicht nur Menschen vernichtet, sondern auch Tiere, Pflanzen und das ganze Ökosystem, müssen wir erkennen, daß unsere Versuche, eine gastlichere Umwelt zu schaffen, erfolglos waren.

 Zwar ist Buße Teil unseres Gottesdienstes, aber begreifen wir wirklich, was sie bedeutet? Viele von uns fühlen sich rein", weil sie nichts falsch gemacht haben. Manchmal jedoch sündigen wir nicht durch das, was wir getan, sondern durch das, was wir unterlassen haben. Wir sündigen durch Unterlassung, nicht durch unser Handeln. Laßt nicht zu, daß wir unsere Hände in Unschuld waschen wie Pilatus. Geben wir nicht vor, daß diese Reinheit die Reinheit des Herzens sei. Wir sollten vielmehr den Mut haben, Propheten und Prophetinnen zu werden und uns die Hände schmutzig zu machen: mit dem Schmutz der Slums, der Armen, der Kinder, die auf der Straße schlafen, der Teenager, die der Sextourismus in die Prostitution treibt, der Drogenabhängigen, die keinen Sinn in ihrem Leben sehen, der Bauern ohne Land, der Ureinwohner, der Kleinbauern, die Land und Würde verloren haben, der Aidskranken. Machen wir uns die Hände schmutzig, indem wir sie ausstrecken nach denen, die unsere Wahrheit und Überzeugung in Frage stellen.

 So wenden wir uns Gott zu, dem Göttlichen in uns, in anderen Menschen und in der Natur. Sich Gott zuzuwenden, heißt, sich der Menschheit zuzuwenden und Leiden, Schmerzen und Tod, die unsere Zeit prägen, anzuerkennen. Metanoia treibt uns Tränen in die Augen. Wir erkennen, wie schwach Menschen sind, wie sehr sie der Liebe und Güte Gottes bedürfen. Der spanische Dichter León Felipe hat nach einem lebenslangen Exil in Mexiko an seinem achtzigsten Geburtstag über den Mut geschrieben, den es kostet, mit Tränen in den Augen an seine Grenzen zu stoßen:" Wenn meine Augen diese Grenze erreicht haben, dann wird ihre Aufgabe nicht mehr sein zu weinen, sondern zu sehen. Das ganze Licht des Universums, das Göttliche, das Poetische, das, wonach wir uns sehnen, werden wir durch das Fenster der Tränen sehen, die wir vergossen haben."

 Wir sehen die Welt durch unsere Tränen. Mit Tränen in den Augen zu sehen, heißt, zu erkennen, dass wir nicht alles sehen können. Wir stehen auf der Seite derer, die leiden. Mit verweinten Augen zu sehen, heißt nicht, dieser Welt fern zu sein. Es heißt, wie Maria Magdalena am Grabe zu weinen: durch ihre Tränen identifizierte sie sich mit dem, der verfolgt wurde und am Kreuz starb. Für die Leidenden und mit ihnen zu weinen, heißt, uns an ihre Seite zu stellen und die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen. Es bedeutet, mit Paulus zu verkünden, daß nicht der Tod das letzte Wort hat, sondern die Auferstehung der gesamten Schöpfung Gottes. In der Vorfreude auf das kommende Fest rufen wir die Menschen auf, zu Gott umzukehren und fröhlich in Hoffnung zu sein, hier und jetzt zu bezeugen, daß die Vorboten des Gottesreiches bereits mitten unter uns sind. Das Königreich Gottes existiert nicht durch meine oder Deine Anstrengungen. Es existiert durch Gott. Wir als Christen sind aufgefordert, Vorboten dieses Reichs in unserer Mitte,die prophetische Stimme in unserer heutigen Zeit zu sein. Welche Botschaft haben wir für die Welt, wenn wir als Christen nicht mit einer Stimme sprechen, um die Ungerechtigkeiten unserer Zeit anzuprangern? Warum vergeuden wir so viel Zeit und Energie mit Problemen, die uns als einzelne und als Kirchen trennen? Die heutige Zeit verlangt von uns ein klareres Bekenntnis: sie erfordert, daß wir Risiken eingehen und das Leben leidenschaftlich lieben - das Leben in Fülle.

 Als der Ökumenische Rat der Kirchen vor 50 Jahren gegründet wurde, war es klar, welche Probleme gelöst werden mussten. Nach den zwei Weltkriegen dieses Jahrhunderts waren Versöhnung und Wiederaufbau die vordringlichen Aufgaben. Es war eine Zeit der Heilung und Wiedergutmachung, der Gerechtigkeit für diejenigen, die vom Naziregime verfolgt worden waren. Heute wie damals brauchen wir Propheten und Prophetinnen, die ihre Stimme erheben, eine Stimme der Versöhnung und der Zukunftsvision. Dennoch stellen wir bedauernd fest, daß an die Stelle der Prophetie Schritt für Schritt der Profit getreten ist. Manchmal wird Profit in unseren Kirchen höher bewertet als die Propheten, und statt dem Geist der Zusammenarbeit regiert unter uns der Wettbewerb. Dafür sollten wir als Kirchen auch Buße tun.

 Gott tritt in die Geschichte ein, um sich kreuzigen zu lassen. Als Christen sehen wir die Welt aus der Perspektive des gekreuzigten Christus. Wir sehen die Welt mit Tränen in unseren Augen, weil wir den Schmerz und das Leiden der Welt spüren. Gibt es etwas Extremeres, als am Fuße des Kreuzes zu stehen und zu sagen: Ich glaube an Christus"? Das ist die tiefe Verbundenheit Gottes mit der Menschheit, und dieser Gott wendet uns nicht den Rücken zu, beurteilt uns nicht nach unseren Verdiensten, sondern holt uns da ab, wo wir stehen, und streckt seine gnädige Hand nach uns aus, um uns in die Arme zu nehmen und uns in die Gemeinschaft zurückzuholen. Die in El Salvador hergestellten Kreuze symbolisieren die neue Dimension der Wiederanbindung an Gott und an andere Menschen. Durch das Leiden Christi werden wir befähigt, Buße zu tun und zu sagen: Das Leiden ist unerträglich geworden. Wir können die Früchte der Versöhnung mit Gott und den Menschen ernten, so wie wir die ersten Früchte der Erntesaison genießen. Die Früchte der Buße sind Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden, Gleichheit, Achtung und Würde aller Kinder Gottes. Wir sind aufgefordert, zu Gott umzukehren, - indem wir unsere Sünden bekennen und wieder auf dem geraden Weg gehen - und in Hoffnung fröhlich zu sein.