Die Wahl eines neuen Generalsekretärs, Debatten über neue Formen ökumenischer Zusammenarbeit und die Situation behinderter Menschen in Kirche und Gesellschaft prägten die Beratungen des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), der vom 26. August bis 2. September in Genf tagte. Daneben wurden Weichen für die Neunte ÖRK-Vollversammlung 2006 in Porto Alegre (Brasilien) gestellt.

Zum neuen ÖRK-Generalsekretär wählte der Zentralausschuss Pfarrer Dr. Samuel Kobia (56) von der Methodistischen Kirche von Kenia. In nichtöffentlicher Sitzung erhielt der Direktor und Sonderbeauftragte des ÖRK für Afrika eine deutliche Mehrheit der 134 abgegebenen Stimmen. Sein Gegenkandidat war der lutherische Theologe Dr. Trond Bakkevig aus Norwegen.

Kobia tritt im Januar 2004 die Nachfolge des deutschen Theologieprofessors Dr. Konrad Raiser an, der Ende des Jahres nach elfjähriger Amtszeit in den Ruhestand geht. Er wird der erste Afrikaner im Chefbüro des ÖRK sein.

"Afrikaner/innen haben die Fähigkeit, Freude am Leben zu haben inmitten des Todes, und zu hoffen in Situationen, die hoffnungslos erscheinen", sagte Kobia. Er sei schon durch sehr schwierige Situationen gegangen und die Fähigkeit zu hoffen, habe ihn dabei getragen.

Fragen nach möglichen Änderungen im Arbeitsstil des ÖRK beantwortete der designierte Generalsekretär mit dem Hinweis auf das vom ÖRK im Grundsatz beschlossene Konsensusverfahren bei Entscheidungsfindungen. Afrikaner/innen seien mit dieser Methode vertraut. Er sei für einen beratenden, mitbestimmenden und "zuhörenden" Arbeitsstil.

Der ÖRK-Zentralausschuss entschied auf seiner Sitzung in Genf weiterhin, dass die Neunte Vollversammlung des ÖRK im Februar 2006 unter dem Thema: "God, in your grace, transform the world" (vorläufige deutsche Fassung: "Gott, in deiner Gnade, verändere die Welt") stehen soll. Über den endgültigen Wortlaut des Vollversammlungsthemas in deutscher, englischer, französischer, portugiesischer und spanischer Sprache soll das Treffen der Leitenden Amtsträger/innen des ÖRK im November beschliessen.

Als schweren Verstoss gegen das Völkerrecht wertete der Zentralausschuss den Krieg gegen den Irak. In einer Erklärung wurde der Aufbau einer Übergangsverwaltung unter Leitung der Vereinten Nationen "verbunden mit dem unverzüglichen und geordneten Abzug der Besatzungstruppen" verlangt.

Erneut hat der ÖRK die völkerrechtswidrige Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel verurteilt und die Errichtung einer so genannten Sicherheitsmauer im Westjordanland scharf kritisiert. Die teilweise bereits fertiggestellte acht Meter hohe Mauer mit einer angeblich geplanten Gesamtlänge von 370 Kilometern treibe die Bewohner/innen palästinensischer Dörfer und Städte weiter in die Isolation.

In weiteren Erklärungen werden rechtswidrige Festnahmen und Folter durch Polizeikräfte und Milizen in Simbabwe verurteilt. Das simbabwische Volk sei Opfer eskalierender staatlicher Gewalt und der Verletzung menschlicher Grundrechte. In einer Erklärung zu Liberia wird die Hoffnung ausgedrückt, dass nach dem erzwungen Rückzug des bisherigen Präsidenten Charles Taylor die vorgesehene Übergangsregierung die Voraussetzung für freie Wahlen vor Ende 2005 schafft.

In einer Erklärung zu Europa rief der Zentralausschuss die Mitgliedskirchen der Region zu einer aktiven Mitgestaltung des europäischen Einigungsprozesses auf. Der Zentralausschuss verabschiedete dazu Leitlinien. Ferner stimmte er einer Erklärung zu, in der vor neuen Trennungen entlang historischer, religiöser, ethnischer und ökonomischer Barrieren gewarnt wird. An die Kirchen wird appelliert, beim weiteren EU-Einigungsprozess jene Bereiche aufmerksam zu verfolgen, in denen Europa globale Verantwortung zukomme wie Handel und Entwicklung, Umwelt, Frieden und Konfliktprävention, Migration und Asyl sowie Menschenhandel und Rassismus.

Auf der Grundlage eines Dokuments unter dem Titel "Kirche aller", das vom "Netzwerk der ökumenischen Anwaltschaft für behinderte Menschen" (EDAN) des ÖRK verfasst wurde, stellte der Zentralausschuss fest, dass Menschen mit Behinderung nach wie vor nicht den ihnen gebührenden Platz in Kirche und Gesellschaft erhalten. Der Zentralausschuss beschäftigte sich mit der Frage, was die Kirchen zur Änderung dieser Situation beitragen könnten.

Die Kirchen werden im Blick auf behinderte Menschen aufgefordert, stärker über die Gottesdienst-gestaltung nachzudenken. Die Sprache im Gottesdienst sollte sensibel sein. Verletzende Formulierungen in einem Schuldbekenntnis wie "Die Sünde hat uns entstellt" müssten vermieden werden. Plädiert wird auch für den stärkeren Einsatz non-verbaler Gottesdienstelemente und visueller Darstellungen. Vor allem aber sollte im Gottesdienst auf Verhaltensweisen von Besuchern/innen geachtet werden, die - bewusst oder unbewusst - Barrieren für Menschen mit Behinderungen aufrichten.

Nach dem Sudan in diesem Jahr bilden die Vereinigten Staaten von Amerika im kommenden Jahr den Schwerpunkt der vom ÖRK ausgerufenen weltweiten Dekade zur Überwindung der Gewalt (2001-2010). Die Kirchen des Landes seien besonders gefordert, sich mit den vielfältigen Formen von Gewalt auseinanderzusetzen, heisst es im entsprechenden Beschluss. Der ÖRK möge sie ermutigen, sich für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen und den Begriff der "Einen Welt" in den Vordergrund zu rücken. Als Schwerpunkte der Dekade für die Jahre 2005 und 2006 legte der Zentralausschuss Asien und Lateinamerika fest.

In seinem Bericht vor dem Zentralausschuss hat der Vorsitzende des Zentralausschusses, Seine Heiligkeit Aram I. von Kilikien, die Bedeutung des interreligiösen Dialogs im Zeitalter der Globalisierung hervorgehoben. Die Globalisierung führe immer mehr Menschen ungeachtet ihrer Religion, Rasse oder Kultur zusammen, betonte der seit über 25 Jahren im ÖRK aktive orthodoxe Theologe. Jahrhunderte lang hätten Religionen ihre eigenen Gemeinschaften, ihr eigenes Ethos, ihre eigenen theologischen, ethischen und kirchenrechtlichen Mauern aufgebaut, um sich selbst zu schützen. Heute nehme eine neue "Kultur der Koexistenz" Gestalt an. Religiöse Gemeinschaften, die in der Vergangenheit einen oft ambivalenten Einfluss auf die Weltpolitik gehabt hätten, forderte der Vorsitzende auf, "Brücken des Vertrauens" zu bauen.

In seinem letzten Bericht vor dem Zentralausschuss unterstrich der scheidende ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser noch einmal die Notwendigkeit einer "neuen Architektur" für den Ökumenischen Rat der Kirchen und die ökumenische Bewegung. Die Zukunft der ökumenischen Bewegung dürfe nicht allein den verfassten Kirchen überlassen bleiben. Der ÖRK müsse versuchen, auch andere Träger der ökumenischen Bewegung wie Entwicklungsdienste und Missionsgesellschaften aber auch Pfingstkirchen und evangelikale Bewegungen sowie die römisch-katholische Kirche miteinander ins Gespräch zu bringen.

Das vielfältige Wirken Konrad Raisers für die Ökumene wurde am Sonntag, 31. August, bei einem Abschiedsgottesdienst im Ökumenischen Zentrum und einem Empfang im Ökumenischen Institut Bossey gewürdigt. Im Gottesdienst bezeichnete Aram I. "Qualität, Engagement und Vision" als Schlüsselbegriffe für Raisers Einsatz im ÖRK. "Mit seinem umfassenden Wissen, seinem scharfen analytischen Verstand und seinem grossen Engagement wird Konrad mit Sicherheit einer der führenden Köpfe der ökumenischen Bewegung bleiben", sagte der Vorsitzende des Zentralausschusses.

Für Raiser steht im Mittelpunkt, wie die ökumenische Bewegung neue Impulse erhalten könne. "Darum geht es bei der ganzen Diskussion um eine Neuordnung der Arbeit des Ökumenischen Rates." Mit seinem Nachfolger Samuel Kobia, mit dem ihn eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit verbinde, teile er Vorstellungen und Visionen in dieser Frage. Von seinem künftigen Wohnort Berlin (Deutschland) aus werde er ihm zur Verfügung stehen, wann immer Kobia dies wünsche.

Der ÖRK hat nach Ansicht von Generalsekretär Raiser seine Finanzkrise weitgehend überwunden. Nach dem Rückgang der Einnahmen habe der Rat mit einem Krisenmanagement eine Reihe harter Personalentscheidungen treffen und die Programmarbeit auf das wesentliche reduzieren müssen. Dieser Vorgang sei nun weitgehend abgeschlossen. Ein im Jahr 2001 aufgenommenes Bankdarlehen über insgesamt 4 Millionen Schweizer Franken (CHF) habe zurückgezahlt werden können. Weiterhin sei der durch eine Hypothek auf das Ökumenische Zentrum in Genf als Vorsichtsmassnahme abgesicherte Kreditrahmen von 5,5 Millionen CHF bisher nicht in Anspruch genommen worden.

Der gebilligte ÖRK-Haushalt für 2003 hat ein Volumen von 46,2 Millionen CHF. Die Zwischenergebnisse vom Juli dieses Jahres zeigten einen leichten Überschuss und gäben zu der Hoffnung Anlass, Ende des Jahres die Rücklagen um ein bis zwei Millionen CHF erhöhen zu können.

Der Etat für die Vollversammlung 2006 in Porto Alegre wurde auf 6,3 Millionen CHF festgelegt und liegt deutlich unter dem der letzten Vollversammlung in Harare (Simbabwe). Die Anzahl der Delegierten wurde auf 700 (gegenüber fast 1.000 in Harare) begrenzt, die Dauer des Treffens auf zehn Tage (gegenüber zwölf in Harare).

Gestiegen ist die Bereitschaft der Mitgliedskirchen, Beiträge an den ÖRK zu überweisen. 66 Prozent zahlten im vergangenen Jahr Beiträge, im Vergleich zu 53 Prozent im Jahr zuvor. Der ÖRK hofft, bis 2005 von sämtlichen Mitgliedskirchen Beiträge zu erhalten und die Einnahmen in diesem Bereich von sechs Millionen auf zehn Millionen CHF zu steigern.

Die Zahl der Kirchen, die Vollmitglieder im ÖRK sind, bleibt bei 342. Während sich die bislang getrennt geführte Brüder-Unität in Amerika (Nördliche Provinz) und ihre Schwesterkirche in der südlichen Provinz auf eine künftige gemeinsame Mitgliedschaft einigten, stimmte der ÖRK dem Antrag der Eritreisch Orthodoxen Kirche Tewahedo auf einen eigenen Vollmitglieds-Status zu. Die Kirche war bisher durch die Äthiopische Orthodoxe Kirche vertreten.

Dem Genozid in Ruanda ist eine Skulpturen-Installation des afrikanischen Künstlers Kofi Setordji gewidmet, die zum Auftakt der Sitzung des Zentralausschusses eröffnet wurde und bis 26. September im Foyer des Ökumenischen Zentrums in Genf zu sehen ist. Unterstützt wurde das Projekt vom deutschen Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). Seit dem Völkermord in Ruanda, bei dem 1994 über 800.000 Menschen ums Leben kamen, steht das Gebiet der Grossen Seen im Zentrum grosser Konflikte und Menschenrechtsverletzungen. Der ÖRK appellierte an seine Mitgliedskirchen, die Kirchen der Region beim Wiederaufbau der Eingliederung von Flüchtlingen zu unterstützen.

Pressemitteilungen, Dokumente und Fotos vom 53. ÖRK-Zentralausschuss unter:

www2.wcc-coe.org/ccdocuments2003.nsf

Fotos unter:

www.wcc-coe.org/wcc/press_corner/ccpix.html