Image
Foto: Katja Dorothea Buck/ÖRK

Foto: Katja Dorothea Buck/ÖRK

Von Katja Dorothea Buck*

Die Ikonenmaler Hany Saweres und Edmon Kamel aus Kairo haben einen ganz besonderen Auftrag: Sie sollen die 21 Märtyrer malen, die im Februar 2015 in Libyen vom so genannten Islamischen Staat enthauptet wurden. Zum Andenken an sie wird derzeit in Al-Minya (Oberägypten) eine Kirche gebaut – mit Geldern des ägyptischen Staates.

Das Video der Massenhinrichtung ging um die Welt: An einem Strand an der libyschen Küste enthaupten Terroristen des so genannten Islamischen Staates 21 junge Männer. Es sorgte weltweit für Angst und Schrecken. Die koptischen Christen in Ägypten aber sahen darin mehr als nur grausame Morde. Sie analysierten das Video und stellten fest, dass die 21 jungen Christen im Moment ihres Todes den Namen Jesu auf den Lippen hatten. Die Tatsache, dass die jungen Männer selbst mit einem Messer an der Kehle ihren Glauben nicht verloren hatten, war für viele koptischen Christen ein Trost, ein Zeichen Gottes, dass er die Christinnen und Christen in Ägypten nicht vergessen hatte. In Al-Minya, woher die meisten der 21 jungen Männer kamen, wird in Erinnerung an sie nun eine Kirche gebaut – und vom ägyptischen Staat finanziert. So etwas gab es in der Geschichte des Landes, in dem 90 Prozent der Bevölkerung muslimischen Glaubens sind, noch nie.

Hany Saweres und sein Partner Edmon Kamel wurden beauftragt, die Ikonen für die neue Kirche zu malen. Das erste Problem aber, vor dem Saweres und Kamel in ihrem Studio in Kairos Stadtteil Ezbet an-Nakhl standen, war ein rein ästhetisches: Wo sollten sie auf der Ikone der 21 Märtyrer Matthäus malen, den einzigen der 21, der kein Ägypter war? Matthäus kam aus Ghana und hatte daher sehr viel dunklere Haut. „Wenn wir ihn irgendwo am Rand gemalt hätten, wäre der Blick des Betrachters automatisch an ihm hängen geblieben und hätte den Betrachter von den anderen 20 abgelenkt“, erklärt Saweres während Kamel die Konturen eines der Gesichter mit schwarzer Farbe nachzeichnet. Die zwei mal zwei Meter große Leinwand, auf der sie malen, ist mit Klebestreifen an der Wand befestigt. „Die koptische Ikonenkunst ist sehr stark auf Symmetrie und Gleichmäßigkeit ausgerichtet. Deshalb unterscheiden sich auch die verschiedenen Gesichter fast gar nicht“, erklärt Saweres weiter. „Wenn aber jemand in seinem irdischen Leben nun einmal einen dunkleren Hautton hatte, kann ich das bei der Ikone ja nicht einfach ignorieren.“

Das Studio ist eine Wohnung im Erdgeschoss eines großen Wohnhauses. Wie so oft in Kairo sind die Gebäude in Ezbet an-Nakhl so dicht nebeneinander gebaut, dass in den unteren Etagen kein Tageslicht durch die Fenster hereinkommt. Licht kommt nur von den Neonlampen unter der Decke. „Wir gaben Matthäus also den Platz hier in der Mitte“, erzählt Saweres weiter und zeigt auf die Gruppe der 21 Märtyrer. Und tatsächlich: Wenn man so auf den einen Märtyrer mit der dunkleren Haut schaut, bleiben auch die anderen 20 im Blickfeld des Betrachters. Alle 21 sind wie Diakone, die Messdiener in der koptischen Kirche, gekleidet.

Saweres ist aber nicht der erste, der sich über Matthäus Gedanken machen musste. Als die koptische Kirche die 21 jungen Männer kurz nach ihrer Hinrichtung offiziell zu Märtyrern erklärte, stellte sich die Frage, ob jemand, der der koptischen Kirche gar nicht angehörte, ein Märtyrer dieser Kirche werden könne. Der koptische Patriarch entschied sich schnell gegen dogmatische Diskussionen und für Matthäus als einen Märtyrer. „Ich weiß nicht, ob ich die Kraft hätte, wie diese Männer an meinem Glauben festzuhalten“, mischt sich Kamels Ehefrau Marina ein, die gerade mit Tee auf einem Tablett in den Raum kommt. „Vielleicht wählt Gott ja nur solche Menschen aus, die durchhalten und in einer solchen Situation bis zum Ende standhaft bleiben.“

Das Märtyrertum ist eine wichtige Säule in der koptischen Kirche. Im Verlauf der Jahrhunderte gab es immer wieder Menschen, die ihren Glauben trotz Folter nicht leugneten und auch im Angesicht des Todes standhaft blieben. Bis zum heutigen Tag lauschen die Kinder koptischer Christen den Geschichten dieser Menschen in den Kindergottesdiensten. Und so hatten es auch die 21 jungen Männer aus Libyen erlebt; sie kannten die Märtyrer ihrer Kirche.

Saweres taucht seinen Pinsel in einen Plastikbecher mit sauberem Wasser und streicht dann über eines der Gesichter. Die verschiedenen Farben würden sich so besser vermischen, erklärt er. Schon oft war er auf der Baustelle der Kirche in Al-Minya, um für die Ikonen Maß zu nehmen, die später einmal die Kirche schmücken sollen. Manchmal trifft er die Eltern oder Geschwister der Märtyrer oder geht in die alte Kirche in Al-Minya, wo die Märtyrer früher Gottesdienste feierten. „Das bedeutet mir sehr viel“, gesteht er und geht zu seinem Schreibtisch. Aus einer Schublade holt er eine Postkarte mit dem Foto eines jungen Mannes, umrahmt von Heiligendarstellungen. Die Postkarte glänzt ölig und bei näherem Hinsehen kann man dunkle Streifen auf Wangen des Mannes erkennen. „Das ist Mina, einer der Märtyrer“, erzählt Saweres. „Weil seine Eltern kein Grab haben, wo sie um ihn trauern können, haben sie bei sich zuhause ein Foto von ihrem Sohn aufgestellt. An seinem ersten Geburtstag nach der Hinrichtung kam aus dem Foto auf einmal Öl, Salböl“, erzählt er weiter.

Kamel hört auf zu malen. Für einen Moment schauen die beiden sich an als würden sie sich fragen, ob sie diese Unterhaltung über etwas, das für sie beide einen großen Stellenwert hat, fortsetzen sollten. Denn sie wissen, dass der protestantische Glaube ihrer Besucher keine Wunder kennt. Im koptischen Christentum aber spielen Wunder eine wichtige Rolle. Koptische Christen sehen darin ein Zeichen Gottes, dass er sie nicht vergessen hat; dass er die Kranken heilt, dass unwegsames Gelände gangbar wird und raue Orte flaches Land werden.

Aber genug zu diesem schwierigen Thema. Saweres holt sein Smartphone aus der Tasche, scrollt eine Weile und fängt plötzlich an zu lachen. Er tippt auf ein Foto, auf dem ein Bischof in vollem Ornat eine seiner Ikonen weiht. Denn Ikonen sind erst dann heilig, wenn jeder Zentimeter davon mit heiligem Öl gesalbt wurde. Das Foto auf Saweres Handy zeigt das sieben Meter hohe Gemälde in der Apsis einer Kirche.

„Hierfür musste der Bischof einen Farbroller nehmen“, lacht er und zoomt das Foto ein wenig herein. Und tatsächlich: Dort steht ein Bischof in weiß-goldenem Ornat mit einem einfachen hellblauen Farbroller am Ende einer Teleskopstange, wie man ihn in jedem Baumarkt bekommt. Auch das ist koptischer Realitätssinn. Das Ritual selbst ist sehr wichtig, nicht aber die Werkzeuge und Hilfsmittel, die dafür gebraucht werden.

Wenn alles nach Plan läuft, wird die Ikone der 21 Märtyrer von Hany Saweres und Edmon Kamel im Februar 2018 geweiht werden.

Ikonen
Ikonen spielen in den meisten orthodoxen und Ostkirchen eine wichtige Rolle. Sie sind das Wort Gottes gemalt in Farbe. Ikonen werden nicht als Kunstwerke angesehen. Für die Gläubigen dieser Kirchen sind sie ein Fenster, durch das das Göttliche sichtbar wird. Ikonen werden als Werkzeug für Gottes Offenbarung gesehen. Daher werden Ikonen auch nicht signiert.

Es gibt verschiedenen Traditionen in der Ikonenmalerei, so zum Beispiel die byzantinische, die bulgarische oder die slawisch-russische. Koptische Ikonen sind gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Symmetrie und ein Gleichgewicht in der Anordnung der Figuren. Auch werden die Augen der dargestellten Personen als Zeichen ihrer spirituellen Reinheit besonders groß gemalt.

Kirchen und Naher Osten: Solidarität und Zeugnis für den Frieden

ÖRK-Mitgliedskirchen in Ägypten

*Katja Dorothea Buck ist Religions- und Politikwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit dem Christentum im Nahen Osten. Seit sie in den späten 1990er Jahren in Kairo studierte, reist sie oft für Forschungstätigkeiten nach Ägypten.