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Die Versöhnungskirche, nach dem Mauerbau für die Gemeindeglieder unzugänglich, musste 1985 dem Todesstreifen weichen.  Foto: Olga Bandelowa

Die Versöhnungskirche, nach dem Mauerbau für die Gemeindeglieder unzugänglich, musste 1985 dem Todesstreifen weichen. Foto: Olga Bandelowa

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Von Stephen Brown (*)

Die Öffnung der Berliner Mauer vor 25 Jahren war eines der markantesten Zeichen für die grundlegenden globalen Veränderungen, die die Welt 1989 erfassten. Für Lateinamerika bedeutete der Machtverlust von General Augusto Pinochet in Chile zur gleichen Zeit das Ende des Militärregimes, das 30 Jahre lang geherrscht hatte. Und in Südafrika wurden die ersten vorsichtigen Schritte unternommen, die letztendlich zur Freilassung von Nelson Mandela und den ersten demokratischen Wahlen ohne Rassenschranken 1994 führten.

Jedoch waren die Umwälzungen in Europa und in anderen Teilen der Welt „so schnell vonstatten gegangen, dass weder Regierungen noch Kirchen ausreichend auf die neue Situation vorbereitet waren“, wie Konrad Raiser, der ehemalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), so treffend formulierte.

Die von repressiven Zwängen befreiten Länder und Kirchen, so Raiser, mussten eine neue Identität finden: „In vielen Fällen führte dies zu heftigen internen Auseinandersetzungen, besonders zwischen denjenigen, die am früheren System beteiligt oder Mitläufer gewesen waren, und denen, die für Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte eingetreten waren.“

Kirchen in Zentral- und Osteuropa und in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion konnten nun selbst das Wort ergreifen und ihre Positionen vertreten. An einigen Orten sahen sich die Leitungen der orthodoxen Kirchen mit internen Spannungen hinsichtlich der Ökumene innerhalb der eigenen Gemeinschaften konfrontiert. Die römisch-katholische Kirche, deren Mitglieder die Hälfte aller Christinnen und Christen ausmachen, begann ihre eigene unverwechselbare Identität immer deutlicher hervorzuheben. Einige europäische protestantische Kirchen forderten, dass auch der Protestantismus ein schärferes Profil haben müsse. Und auf noch dramatischere Weise wurde Religion – die orthodoxe genau wie die römisch-katholische und die muslimische – in den Balkankriegen, die mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens einhergingen, ein Identitätsmerkmal in den Konflikten, die diese Gemeinschaften gegeneinander aufbrachten.

Unterdessen wurden die Öffnung der Berliner Mauer und der Zusammenbruch des Kommunismus in der Sowjetunion zwei Jahre später allgemein als Erfolg der liberalen Demokratie, der neoliberalen Wirtschaftspolitik und als Beginn der neoliberalen Globalisierung gesehen.

Und dennoch hat die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2008 ihren Anfang nahm, deutlich gezeigt, wie riskant der Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung war und ist. Zu Beginn der Krise wurde diese oft mit dem Fall der Berliner Mauer verglichen, einem Moment, bei dem die Grundfesten des Systems erschüttert und nachher nichts mehr so sein würde wie vorher.

Und dennoch, so ein Berichterstatter, hätten Banken und Finanzinstitute weiterhin „oligarchische Freiheit“, gegen die die Regierungen machtlos seien. Die Arbeitslosenquoten haben weltweit Rekordhöhen erreicht. Hinter den Turbulenzen an den Finanzmärkten steht die Frage, wie zukunftsfähig das System in Zeiten von Konflikten, von Wirtschaftskrisen und dem globalen ökologischen Kollaps ist.

Kirchen und die ökumenische Bewegung

Zwei Teile der Berliner Mauer stehen im Garten des Ökumenischen Zentrums in Genf, wo der ÖRK und verschiedene andere ökumenische Organisationen ihre Büros haben. Die beiden Teile waren ein Geschenk der ersten frei gewählten Regierung in Ostdeutschland an die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und sollten ein Zeichen der Anerkennung der Rolle sein, die die Kirchen in der friedlichen Revolution in der DDR gespielt hatten.

Denn dem Ereignis, das in der Regel als Fall der Berliner Mauer bezeichnet wird, waren wochenlange friedliche Proteste in der gesamten DDR vorausgegangen. Viele dieser Proteste hatten ihren Anfang in den Kirchen genommen und waren von religiösen Symbolen wie Kerzen, Mahnwachen und Gesängen aus der Taizé-Gemeinschaft in Frankreich begleitet.

Viele führende Personen der politischen Bewegungen, die inmitten der Proteste nach Veränderungen in der DDR verlangten, waren zuvor in Gruppen aktiv gewesen, die sich für Frieden, Umweltschutz und Menschenrechte einsetzten und von denen viele unter dem Dach der Kirchen aktiv waren.

Wie der Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk feststellte, waren die Kirchen für die Menschen in Ostdeutschland Orte der aktiven politischen Bildung. Dadurch seien die Grenzen zwischen dem Engagement innerhalb der Kirche und dem Engagement in der Gesellschaft als Ganzes verschwommen.

Der ÖRK-Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung war hier eine der Möglichkeiten, andere Ansichten zu äußern. Der Prozess war 1983 von der 6. ÖRK-Vollversammlung in Vancouver, Kanada, angestoßen worden. In Europa hatte er zu der Europäischen Ökumenischen Versammlung 1989 in Basel geführt, die von der KEK und der Europäischen (römisch-katholischen) Bischofskonferenz (CCEE) organisiert und getragen worden war.

In der DDR verknüpfte der Prozess die Themen Frieden, Umweltschutz und Gerechtigkeit miteinander und führte zu einer ökumenischen Versammlung der Kirchen, die auf bis dahin nicht gekannte Weise nur sechs Monate vor dem Fall der Berliner Mauer nach Veränderungen in der DDR verlangte.

Gleichzeitig versuchte die ökumenische Versammlung neue theologische und politische Perspektiven zum offiziellen staatlichen Sozialismus in Osteuropa und der freie Marktwirtschaft im Westen anzubieten. In der ersten von verschiedenen Erklärungen rief sie zu einer „Umkehr zu Gerechtigkeit, Frieden und [der] Bewahrung der Schöpfung“ auf.

„Tiefgehende Wandlungs- und Lernprozesse liegen vor uns: von der Vergötzung des Wirtschaftswachstums und der Wirtschaftsmacht zur Solidarität mit den Armen und zur Umverteilung von Macht; von der Friedenssicherung durch Androhung und Ausübung von Gewalt zur Friedensordnung durch Vertrauensbildung, Zusammenarbeit und Abrüstung; von der Gewalt- und Willkürherrschaft über die Natur zur Solidarität und Kooperation mit ihr“, heißt es in dieser Erklärung.

Diese Alternativen wurden jedoch überschattet von der schnellen Abfolge von Ereignissen in Osteuropa 1989, der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Heute, 25 Jahre später, könnten diese Einsichten Anregung für eine erneute Reaktion der Kirchen sein, da der scheinbare Siegeszug des marktwirtschaftlichen Kapitalismus auf viel unsichererem Boden steht.

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(*) Dr. Stephen Brown ist Programmverantwortlicher bei dem weltweiten Ethik-Netzwerk Globethics.net mit Sitz in Genf und Autor eines Buches über die Rolle des Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung in der friedlichen Revolution in der DDR.