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Prof. Dorothea Sattler. Foto: Esther R. Suter/ÖRK

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Weit über 250 junge Menschen nahmen am ersten theologischen Symposium vom 30. August bis 6. September
in Taizé teil zum „Beitrag Frère Rogers zum theologischen Denken“. Eingeladen zum Nachdenken und Austauschen wurden Theologiestudierende und junge Theolog/innen unter 40 Jahren, die in der Forschung tätig sind, sich auf einen Dienst in der Kirche vorbereiten oder bereits darin engagiert sind.

Großes Interesse fanden die vielfältigen Referate aus allen Teilen der Welt: Beiträge von evangelischer, orthodoxer und katholischer Seite aus West- und Osteuropa, Asien, Nordamerika, Lateinamerika und Afrika.

Der Schweizer Theologe Frère Richard erklärte im Gespräch, es gebe keine Theologie von Roger Schutz, aber Punkte in seinem Leben und Lebenswerk, die er geschrieben und geschaffen habe, die an die Theologie Fragen stellen und sie weiter bringe. Für junge Menschen gehe es auch darum, dass sie für den theologischen Diskurs ihren Glauben mit Worten oder Aussagen zusammenbringen. Viele ihrer Erfahrungen, auch in dieser Woche, von Gebet, von Kirche sein, seien schwer in theologische Begriffe und Kategorien zu fassen, die in der universitären Erfahrung benötigt werden.

Alle Referierenden sprachen davon, wie sie durch persönliche Begegnungen mit Frère Roger, durch seine Tagebuchaufzeichnungen, durch Gebete und Aufenthalte oder Taizé-Treffen in Europa und anderswo geprägt wurden.

Prof. Dorothea Sattler, Dogmatikerin und Leiterin des Ökumenischen Instituts in Münster verstand es, komplizierte theologische Sachverhalte in verständliche Worte zu fassen, ohne die Aussagen zu vereinfachen. Mit 16 nahm sie als klassisch katholisch sozialisierte Jugendliche zum ersten Mal an einem lokalen Taizé-Neujahrstreffen teil. Dann ging sie in der Studienzeit dieser ökumenischen Spur nach, in Taizé, und die gemachten Erfahrungen ließen sie nicht mehr los.

Wie andere wies Sattler darauf hin, dass Zweifel am Glauben erlaubt seien, und erinnerte an Details aus Frère Rogers früher Biografie. Für Roger Schutz sei vor allem die geistliche Ökumene als Weg zur Einheit der Kirche wichtig geworden.

Sattlers Deutung davon lautet: Einheit sei an der Mitte des christlichen Bekenntnisses, an der österlichen Hoffnung, ausgerichtet. Es gehe darum, existentielle Fragen der Menschen wahrzunehmen, Versöhnung zu suchen angesichts der Verstrickungen in Phänomene der Schuld, und die Bewahrung des individuellen Lebens auch noch im Tod zu erwarten.

Die geistliche Ökumene sei schöpfungstheologisch ausgerichtet, d.h. sie fördere das Leben aller Geschöpfe und lindere jede Not. Die geistliche Ökumene feiere, was alle Christinnen und Christen verbinde: Gott, einen Glauben, eine Taufe, einen Erlöser – Jesus Christus – und einen Geist, der lebendig macht. Sie bezog sich – aufgrund Frère Rogers frühen Tagebuchnotizen – auf den Widerstand 1950 gegen die Verkündigung des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel und vor allem auf die Berufung des Bischofs von Rom auf seine ihm beim Ersten Vaticanum zugestandene infallible, unfehlbare Lehrautorität.

Ihrer Ansicht nach wird es mit diesem Jurisdiktionsprimat und der Möglichkeit infallibler Lehrentscheide keine sichtbare Einheit der Kirche geben können. Es gebe jedoch konkrete andere Vorschläge: Der Bischof von Rom könnte offiziell auf die Ausübung seiner Privilegien verzichten, oder sich einbinden lassen in ein ökumenisches Kollegium. Ob da auch Frauen mit dabei seien? Mit dieser Frage schloss Sattler ihr Referat.

Der methodistische Theologe und Pastor Dr. Hermen Shastri aus Malaysia, Generalsekretär des Kirchenrates von Malaysia, begegnete Roger Schutz zum ersten Mal an der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver 1983. Als Mitglied der ÖRK-Kommission für Glaube und Kirchenverfassung brachte er die Theologie von Schutz in Zusammenhang mit dem ÖRK-Statement zu „Koinonia“ als zentraler Aussage für die ökumenische Suche der Kirchen.

Es gehe nicht um eine Einheit der Kirchen in jetzt sichtbarer Gestalt. Der Ruf der Kirche sei Versöhnung, Heilung zu bringen und Trennungen zu überwinden, das sei der Wert von Koinonia als wahrer Gemeinschaft, die alle Gaben der Kirchen einschließe. Vielleicht wäre Roger Schutz heute vor allem zufrieden über den Pilgerweg und die Versöhnung der einzelnen Herzen auf diesem Weg, und weniger erfreut über den Verlauf der ökumenischen Bewegung. Der Pilger oder die Pilgerin sei immer unterwegs und nicht interessiert an einem Ende des Pilgerwegs.

Der von Taizé ausgehende Einfluss für ökumenische Einheit und Weltfrieden werde in den Kirchen auf der ganzen Welt gespürt, meinte Dr. Shastri im Gespräch. Abertausende von Gemeinden singen Taizélieder und die Jugendlichen werden von Taizé angezogen. Taizé sei gelebte Ökumene, ein Modell für Ökumene.

Die ökumenische Spiritualität von Taizé sei auch eine Brücke für den asiatischen Kontext: Hier zähle der Aufruf von Taizé für Frieden, für Veränderung und für Vertrauen, auch über die religiösen und kirchlichen Strukturen hinaus, hin zu anderen Religionen, für eine gemeinsame Aufgabe der Menschen und für die Menschheit. Denn „Gottes Geist kann in allen Kulturen gefunden werden“, meinte Shastri.

Einheit der Kirchen und Einheit der Menschheit gehören zusammen, das ist Oikoumene. Doch in Malaysia, mit einer 60%-igen Mehrheit der islamischen Bevölkerung, sei es schwierig, Interesse für Taizé zu gewinnen. Viele Kirchen seien evangelikal ausgerichtet, und diese Megakirchen seien einem Prosperity-Gospel verpflichtet, das der Marktwirtschaft und dem Kapitalismus huldige, ohne theologischen Tiefgang. Sie meinen, wenn sie sich moderner Gesellschaft und Technologie anpassen, können sie Menschen gewinnen; sie haben die Antwort auf alle Fragen.

„Die  Herausforderung für uns ist die Megakirche, die Pfingstkirche.“ Da gibt es keine Stille wie in Taizé. Doch die Stille in Taizé ist eine spirituelle Quelle. „Manchmal brauchen wir keine Antwort, sondern die Bestärkung durch Gemeinschaft.“ Die Stille bezeichnete Dr. Shastri am Beispiel der interreligiösen Gedenkfeier an die Opfer des Absturzes einer Maschine der Malaysian Airlines, als verbindend über Religionen hinweg.

Teilnehmende Jugendliche boten selbst etwa 15 Arbeitsgruppen zu ihnen relevanten Fragen an, zu Themen wie:

  • Eine Theologie der „Geburtlichkeit“ (in Bezug auf die feministische Theologin Ina Praetorius);
  • ein christliches Engagement zu Gerechtigkeit und Frieden im afrikanischen Kontext, da der christliche Glaube vor allem auf Arme ausgerichtet sei;
  • Südafrika: Hoffnung bringen, ringen mit Hoffnung. Wie ist eine gewaltfreie Bewegung zu führen inmitten von Ungerechtigkeit?
  • Wollen, sollen, können wir gemeinsam Abendmahl feiern?
  • Interkommunion, theoretisch? Einheit im Glauben vor einem gemeinsamen Kelch?

Am Donnerstagabend sprach, wie schon zu Frère Rogers Zeiten, sein Nachfolger Frère Alois zu den Jugendlichen und allen Anwesenden über das Entstehen und langsame Zusammenwachsen der Brüder zur monastischen Gemeinschaft. „Wenn Christus nicht auferstanden wäre, wären wir nicht hier. Wir sind hier nur zusammen, weil das Evangelium uns zusammenhält“.

Besonders eindringlich und behutsam betonte er den Wert von Gebet und Stille. Da geht es um einen achtsamen Umgang, darum, den ganz kleinen Schwingungen oder einem Wort nachzugehen, die in der Stille aufkommen. Vielleicht ist es ein Gedanke von Gott her, dem wir nachgehen müssen. Es sei an uns, dies aufzunehmen. „Ich muss entscheiden, was von Gott kommt“.

Eine junge Frau stellte ihm anschließend die Frage, was zu tun sei, wenn einen ein Sonntagsgottesdienst nicht sehr anspreche. Frère Alois riet, dann nach dem Gottesdienst auf die älteste Person zuzugehen, sie anzusprechen und ein bisschen mit ihr auszutauschen. Sie zu bitten, ob sie in der nächsten Woche einen ins Gebet einschließen möchte. „Das wird Dir ein gutes Gefühl geben“.