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Priester Emanuel Youkhana in einer zerstörten Kirche in Mosul, Irak. © Paul Jeffrey/ÖRK

Priester Emanuel Youkhana in einer zerstörten Kirche in Mosul, Irak. © Paul Jeffrey/ÖRK

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Eine Delegation von Kirchenleitenden reiste vom 20. bis 24. Januar in den Irak und berichtete über die Ergebnisse und Empfehlungen einer neuen Studie über die besonderen Bedürfnisse von Vertriebenen im Irak und in Syrien. Die Delegation hörte auch Vertreterinnen und Vertreter örtlicher Glaubensgemeinschaften im Irak, Leitende der christlichen Kirchen des Landes und junge Christinnen und Christen an und erfuhr viel über die aktuelle Lage und die Herausforderungen vor Ort.

Priester Emanuel Youkhana, Archimandrit der Kirche des Ostens und Koordinator eines umfassenden humanitären Hilfsprogramms in Dohuk, erklärte, der Besuch der Delegation diente dazu, „diejenigen, die vor Ort leiden, wissen zu lassen, dass sie nicht alleine sind, dass es Menschen gibt, die sich um sie sorgen, die für sie beten und sich für sie einsetzen“.

Youkhana sagte, die Gespräche der Delegation mit politischen Führungspersönlichkeiten hätten dazu beigetragen, die Behörden an die einzigartigen Gaben und die besonderen Bedürfnisse der Verletzlichsten zu erinnern. „Obwohl wir gelitten haben, wollen wir als Kirche die Zukunft positiv mitgestalten. Unsere Arbeit wird mehr denn je gebraucht, denn zu einer Zeit, zu der alle Mauern errichten, kann die Kirche Brücken bauen“, erklärte er.

Ein Vertreter der Vereinten Nationen in Bagdad sagte der Delegation, die irakische Regierung hätte trotz des Drucks gewisser ausländischer Armeen die Forderungen des humanitären Völkerrechts anerkannt und sei bei ihrem Vorgehen gegen die Gruppierung Islamischer Staat vorsichtig gewesen.

Lise Grande, die Koordinatorin der Vereinten Nationen für humanitäre Maßnahmen im Irak, erklärte, die irakische Regierung hätte die „überwältigende Mehrheit“ der humanitären Hilfe für die vom Konflikt Betroffenen bereitgestellt, und selbst die gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürger hätten einen Beitrag geleistet. „3 700 Moscheen im ganzen Land haben ihre Türen geöffnet, um Familien aufzunehmen, die innerhalb des Landes vertrieben worden sind. Das ganze Land hilft den Vertriebenen“, erzählte sie der Delegation. „Die internationale Gemeinschaft leistet nur einen relativ kleinen Beitrag und sie tut sich schwer damit, die erforderlichen Mittel dafür aufzutreiben. Das ist eine Schande. Diejenigen, die an diesem Chaos beteiligt waren, die als Konfliktparteien direkt mitverantwortlich waren, sollten dies nicht tun dürfen. Wer dazu beiträgt, ein Land zu zerstören, der muss auch für seinen Wiederaufbau mitbezahlen.“

„Man spürt eine fast unerträgliche Last des Leidens hier“, berichtete Pastor Dr. Christopher Cocksworth, Bischof von Coventry der anglikanischen Kirche aus England. Er hielt fest, dass mehrere Delegationsmitglieder bei ihrer Rückkehr mit ihren Regierungen über die Notwendigkeit für mehr Wiederaufbauhilfe sprechen würden.

„Mit dem Erfolg der Kampagne gegen den IS steht das Land heute an einem Scheideweg. Dies ist eine Chance für neues Handeln seitens der politischen Entscheidungsträger im Irak, aber auch in Ländern wie in meinem, die seit Langem im Irak im Einsatz sind, auch militärisch“, meinte Cocksworth, der Mitglied im britischen House of Lords ist. „Wir haben hier militärisch eingegriffen und ein Chaos hinterlassen. Können wir jetzt die Herausforderung annehmen, Frieden zu stiften und eine Koalition für den Wiederaufbau und die Erneuerung zu schaffen, unter Einsatz derselben Energie und Entschlossenheit und ähnlicher finanzieller Ressourcen wie für unser militärisches Eingreifen?“

Eine der berührendsten Begegnungen der Delegation war das Treffen mit jungen Menschen in Ankawa, einem Viertel außerhalb von Erbil, wo Zehntausende vertriebene Christen Zuflucht gefunden haben. Ein junger Mann erzählte frustriert, einige der nationalen Kirchenverantwortlichen hätten ihre Familien nach Europa in Sicherheit gebracht, gleichzeitig jedoch die Gläubigen aufgerufen, das Land nicht zu verlassen.

Lubna Yusef berichtete der Delegation vom Überlebenskampf ihrer Familie nach deren Flucht aus Karakosch 2014. „Womit haben wir das verdient? Ich hasse Reisen und Einwanderung, aber heute würde ich auswandern, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte, für meine Kinder“, sagte sie.

„Wären wir zu Hause in Sicherheit, würde dies nicht passieren. Aber wie lange können wir da, wo wir jetzt sind, noch leben? Ich bin noch jung, aber ich habe das Gefühl, mein Leben sei schon vorbei. Und was ist mit meinen Kindern? Wer kann garantieren, dass nicht etwas noch Schlimmeres als der IS kommt und das Leben meiner Kinder zerstört?“ fragte sie.

„Unsere Priester sagen uns, wir sollen hier bleiben, weil dies unser Land ist, unsere Zivilisation. Aber warum müssen wir immer wieder bei Null anfangen? Wenn ich nach Europa oder in die USA gehen würde, würde man den Abschluss anerkennen, den ich hier erworben habe? Gewiss nicht! Bringt uns keine materiellen Dinge, das alles wollen wir nicht. Ich werde hart arbeiten und kaufen, was ich brauche. Aber mein Leben kann ich nicht kaufen. Ich will Sicherheit. Ich will nachts schlafen können, ohne mich um den nächsten Morgen sorgen zu müssen“, erklärte Lubna Yusef. „Wir wollen nicht, dass ihr uns helft, unsere Häuser wiederaufzubauen. Was viel wichtiger ist: Wir wollen unsere Würde zurück.“

Eine internationale Delegation von Kirchenverantwortlichen reiste vom 20. bis 24. Januar in den Irak und traf sich mit hohen politischen Entscheidungsträgern der föderalen irakischen Regierung in Bagdad und der regionalen Regierung der Autonomen Region Kurdistan in Erbil, mit Parlamentsabgeordneten, die Minderheitsgemeinschaften vertreten, mit der Leitung der UN-Hilfsmission für Irak, mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Glaubensgemeinschaften im Irak und den Leitenden der christlichen Kirchen des Landes sowie mit jungen Christinnen und Christen.

Die Delegation begrüßte das Engagement, das die politischen Entscheidungsträger in Bagdad und Erbil für die Erhaltung der kulturellen, ethnischen und religiösen Vielfalt des Landes zum Ausdruck brachten, und sie forderte eine Nothilfe seitens der internationalen Geldgeber zur Unterstützung der Bemühungen, die betroffenen Gemeinschaften und Gesellschaften zu schützen, ihnen Stabilität zu ermöglichen und sie wiederaufzubauen.

Als Beitrag zur langfristigen Sicherung der sozialen und religiösen Vielfalt in der Region und zur Verhinderung weiterer umfangreicher Abwanderungen von Christen und anderen Bevölkerungsgruppen berichtete die ÖRK-Delegation über die Ergebnisse der Studie „The Protection Needs of Minorities from Syria and Iraq“ (Schutzbedürfnisse von Minderheiten aus Syrien und dem Irak), die der ÖRK gemeinsam mit dem norwegischen Hilfswerk Norwegian Church Aid (NCA) durchgeführt und im Dezember 2016 veröffentlicht hat.

Fotos des Besuchs von Kirchenleitenden im Irak stehen gratis zur Verfügung.

ÖRK-Delegation strebt sichere Zukunft für religiöse Minderheiten im Irak an

Gedanken von Antje Jackelén, Erzbischöfin der Kirche von Schweden, über ihre Reise in den Irak

„Schutzbedürfnisse von Minderheiten aus Syrien und dem Irak“, Bericht des ÖRK und des NCA (in englischer Sprache)